Karl Plagge 1941Karl Plagge wurde am 10. Juli 1897 in Darmstadt geboren. Sein Vater, der bereits 1904 starb, war Sanitätsoffizier und kam wie seine Mutter aus einer bürgerlich-konservativen Familie. Karl besuchte das Ludwig-Georgs-Gymnasium in Darmstadt und wurde 1916 zum Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg eingezogen. Er kam 1917 in englische Kriegsgefangenschaft und begann nach seiner Entlassung im November 1920 ein Studium an der Technischen Hochschule Darmstadt, das er 1924 als chemisch-technischer Ingenieur beendete. 1924 gründete er mit seiner Frau ein chemisch-medizinisches Untersuchungslabor. Schon vor 1933 trat Plagge in die NSDAP ein, da er den Friedensbeteuerungen der Partei glaubte. Für den mit ihm befreundeten Kurt Hesse, Inhaber der Maschinenfabrik Hessenwerke GmbH, arbeitete er ab 1934 als beratenden Ingenieur. 1938 übernahm er die Patenschaft für dessen 1938 geborenen Sohn Konrad, eine Handlung, die er 1947 wie folgt begründete: "Je stärker die brutale antijüdische Tendenz des Nationalsozialismus zum Durchbruch kam, umso stärker trat ich auf die Seite meines unter diesen Verhältnissen schwer leidenden Freundes Kurt Hesse und übernahm aus Protest gegen die Rassenhetze und die seelischen und moralischen Quälereien, denen Frau Erika infolge ihrer nichtarischen Abstammung ausgesetzt war, die Patenschaft ihres kurz nach dem Synagogensturm geborenen Sohnes."

Major Karl Plagge in Vilnius 1941

Unmittelbar mit Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 wurde Karl Plagge zur Wehrmacht eingezogen, wegen eines Beinleidens zunächst in Darmstadt als Standortoffizier eingesetzt, bevor er nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 als Kommandant einer KfZ-Instandsetzungseinheit und des Heereskraftfahrparks 562 (HKP) nach Vilnius versetzt wurde. In dieser Funktion vergab er für Ghetto-Häftlinge lebenserhaltende Arbeitsscheine, sorgte für ausreichende Verpflegung seiner Arbeiter und holte Juden kurz vor dem Abtransport nach Paneriai (Ponari) aus dem Lukiškės-Gefängnis. Kurz vor Auflösung des Ghettos gelang es ihm, ein Lager in der Subocz-Straße mit zahlreichen Werkstätten einzurichten, in denen die ca. 1.000 von ihm aus dem Ghetto geretteten Juden beschäftigt wurden. Er konnte die Gefangenen weitgehend vor dem Zugriff der SS schützen, doch seine Möglichkeiten endeten mit dem Heranrücken der Roten Armee im Juni 1944. Kurz vor dem Abzug seiner Einheit warnte er die Lagerinsassen vor der Übernahme des Lagers durch die SS. Ungefähr 250 Gefangenen rettete diese Warnung das Leben, weil sie sich unentdeckt hatten verstecken können. Als ehemaliges NSDAP-Mitglied musste sich Karl Plagge nach seiner Rückkehr in Darmstadt 1947/48 einem Entnazifizierungsverfahren stellen. Aufgrund von Zeugenaussagen seiner Untergebenen und einer von ihm geretteten Familie sollte er freigesprochen werden, bestand aber auf einer Verurteilung als „Mitläufer“, da er als früheres Parteimitglied auf seiner Mitverantwortung für die Entstehung des Naziregimes bestand. Plagge starb 1957 an einem Herzversagen. 

Erst 1999 – angestoßen durch die Suche von Michael Good nach dem Retter seiner Mutter Pearl (Perella Esterowicz) – wurde Plagges Rettungsverhalten bekannt. Eine große Zahl von ihm Geretteter erreichte 2004 in Yad Vashem die Ehrung Karl Plagges als „Gerechter unter den Völkern“.

 

Literatur / Medien

Darmstädter Geschichtswerkstatt (Hg.): Karl Plagge. Ausstellung. Begleitheft, 4. Auflage, Darmstadt 2010; Dieckmann 2011, Bd. 2, S. 1280ff.; Gedenkstätte Stille Helden. Widerstand gegen die Judenverfolgung 1933 bis 1945. Katalog zur Ausstellung, bearb. von Beate Kosmala u. Barbara Schieb. Hrsg. von der Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Berlin 2010, S. 42; Good, Michael: Die Suche. Karl Plagge, der Wehrmachtsoffizier, der Juden rettete, Weinheim 2006; Kosmala, Beate: Rettung durch Arbeit in Wilna 1941– 1944, in: Malkès, Simon: Der Gerechte aus der Wehrmacht. Das Überleben der Familie Malkes in Wilna und die Suche nach Karl Plagge, Berlin 2014, S. 123ff.; Viefhaus, Marianne: Zivilcourage in der Zeit des Holocaust. Karl Plagge aus Darmstadt, ein "Gerechter unter den Völkern", hrsg. von der Darmstädter Geschichtswerkstatt e.V. und dem Magistrat der Wissenschaftsstadt Darmstadt, 2005; Dies.: Für eine Gemeinschaft der "Einsamen unter ihren Völkern". Major Karl Plagge und der Heereskraftfahrpark 562 in Wilna, in: Wette, Wolfram (Hg.): Zivilcourage. Empörte, Helfer und Retter aus Wehrmacht, Polizei und SS, Frankfurt/M. 2003, S. 97–113; Feigenberg, Mosche: Wilne untern Nazy Joch (Landsberg 1946)

http://searchformajorplagge.com/searchformajorplagge.com/Welcome.html
http://www.darmstaedter-geschichtswerkstatt.de/plagge-projekt/ (Fotos)
https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Plagge
http://www.raoulwallenberg.net/saviors/others/yad-vashem-honor-german-wwii/ 
http://www.holocaustresearchproject.org/trials/feigenberg.html 
http://www.tenhumbergreinhard.de/1933-1945-lager-1/1933-1945-lager-w/wilna-vilnius-frauenlager.html