Perella Esterowicz 1946Ida und Samuel Esterowicz 1946Die Familie Esterowicz – die Eltern Samuel, Ida und die 1929 geborene Perella – gehörte zum gehobenen Bürgertum von Vilnius. Samuel Esterowicz arbeitete in einer Radioröhren- und Glühbirnen-Firma, hatte in St. Petersburg Jura und später in Berlin Wirtschaftswissenschaften studiert. Durch die Verbindung zu einem polnischen Geschäftsfreund fand er nach der Besetzung von Vilnius im Juni 1941 in einer Autowerkstatt Beschäftigung, die für den von Karl Plagge geleiteten Heereskraftfahrpark (HKP) arbeitete. Nach Auflösung des Ghettos im September 1943, in das die Familie am 6. September 1941 mit den anderen Juden der Stadt eingesperrt wurde, wurden sie und noch weitere fünf Verwandte in das HKP-Lager in der Subocz-Straße gebracht. Der restliche Teil der 33-köpfigen Familie wurde vernichtet. In seinen späteren Erinnerungen beschrieb Samuel Esterowicz die Bemühungen Karl Plagges, die Arbeits- und Lebensbedingungen der HKP-Arbeiter und deren Familien so erträglich wie möglich zu machen und sie, soweit es ihm möglich war, vor den Übergriffen der SS zu schützen. Als die Front näher rückte und der HKP sich zurückziehen musste, warnte Plagge die Lagerinsassen vor der Übernahme des Lagers durch die SS. Pearl Good wird diese Warnung, die ihnen das Leben rettete, nie vergessen:

„Am Sonnabend, dem 1. Juli 1944, kam Major Plagge, der freundliche Kommandant des HKP 562, um uns zu sprechen... Major Plagge warnte uns, dass die deutsche Armee Wilna verlassen und wegen der heranrückenden Russen nach Westen verlegt würde. Um seiner Rede Nachdruck zu verleihen, informierte uns Plagge, dass das HKP-Arbeitslager aufgelöst würde und dass wir gänzlich in den Händen der SS wären  - und dann kommentierte er sorgfältig: 'Und ihr alle wisst sehr wohl, wie gut sich die SS um ihre jüdischen Gefangenen kümmert.' Diese Rede des Majors machte uns schreckliche Angst. Nach Berichten des britischen Nachrichtensenders BBC hatten die Deutschen vor ihrem Rückzug gnadenlos alle jüdischen Insassen der Lager im Osten erschossen. Fast alle von uns begriffen, dass für unser Lager nun der Augenblick gekommen war, den wir alle fürchteten und für den wir in unserem Stockwerk fieberhafte Vorbereitungen getroffen hatten“ (Good 2006).


Zeichnung des Verstecks (Good)Nach Plagges Warnung flüchtete die Familie mit zahlreichen anderen in ein lange vorbereitetes Versteck unter den Steinfundamenten des Gebäudes. In diesem dunklen, völlig überfüllten Versteck mit zu wenig Sauerstoff, wenigen Lebensmitteln und nur etwas gefiltertem Abwasser verbrachten fast 100 Menschen unvorstellbar schwere Tage. Nach ihrer Rettung wenige Tage später sahen sie auf dem Gelände vor dem Wohnblock die Leichen ihrer Nachbarn, die von der SS und litauischen Hilfspolizisten aufgespürt und an Ort und Stelle erschossen worden waren.

Über Polen und Italien emigrierte die Familie Esterowicz 1951 in die USA. In Italien noch lernte Perella ihren künftigen Mann, Vovka Gdud – einen Überlebenden ebenfalls aus Vilnius – kennen. Perella studierte Chemie und Vovka Medizin. Seit 1955 leben Pearl und William Good – wie sie sich seit damals nennen – in Kalifornien.


Literatur / Medien
Good, Michael: Die Suche. Karl Plagge, der Wehrmachtsoffizier, der Juden rettete, Weinheim 2006 (Abb. 13 o.S.; Zitat S. 102f.); Viefhaus, Marianne: Zivilcourage in der Zeit des Holocaust. Karl Plagge aus Darmstadt, ein "Gerechter unter den Völkern", hrsg. von der Darmstädter Geschichtswerkstatt e.V. und dem Magistrat der Wissenschaftsstadt Darmstadt, 2005, S. 48ff.

Erinnerungen von Samuel Esterowicz und seiner Tochter Perella / Pearl Good:
http://searchformajorplagge.com/searchformajorplagge.com/Welcome.html 
http://www.darmstaedter-geschichtswerkstatt.de/plagge-projekt/plagge-ausstellung/biographien-2/
http://www.deathcamps.org/occupation/esterowicz.html (Fotos)