Tobias Jafetas wurde 1930 als jüngster von drei Söhnen in Kaunas geboren. Sein Vater, Rafael, war Repräsentant britischer Textilfirmen in Litauen, seine Mutter, Berta Shustef, entstammte einer litauischen Rabbinerfamilie. Im Frühjahr 1939 emigrierte die Familie aufgrund der sich zuspitzenden politischen Situation nach England und ließ sich in Brighton und London nieder. Tobias und seine Mutter reisten im Sommer 1939 noch einmal nach Kaunas, um Tobias’ Cousine, Anna Katinskaitė, die zu Besuch in Brighton gewesen war, nach Hause zu ihren Eltern zu bringen. Da inzwischen der Krieg ausbrach und ihre britischen Visa ungültig wurden, konnten Mutter und Sohn nicht mehr nach Brighton zurückkehren. Den Überfall der deutschen Truppen im Juni 1941 erlebte Tobias in einem Kinder- und Jugendlager in Palanga. Die jüdischen Teilnehmer wurden mit den rund 600 Juden Palangas in einem provisorisch eingerichteten Arbeitslager interniert und kurz darauf erschossen. Tobias gelang mit einem Freund die Flucht und die Rückkehr zu seiner Mutter nach Kaunas.
Mitte Juli mussten die beiden in das neu eingerichtete Ghetto umziehen. Während die Mutter tagsüber in einer Strumpffabrik arbeitete, begann der gerade elfjährige Tobias an der Berufsschule eine Metallarbeiterausbildung. Nebenbei züchtete er auf dem Dachboden Kaninchen, die ihm das Leben retteten. Während Soldaten in einer „Kinderaktion“ Ende April 1944 das Ghetto durchkämmten, konnte er sich im Heu bei den Kaninchen verstecken. Auf Beschluss seiner Mutter verließ Tobias heimlich das Ghetto und konnte zu seiner Tante und deren Familie nach Vilnius fliehen, die ihn bis zum Abzug der deutschen Truppen in ihrer Wohnung versteckten. Nach der Befreiung erfuhr Tobias, dass seine Mutter bei einem Fluchtversuch aus dem Ghetto erschossen worden war. Die Reise zu seinem in England lebenden Vater und Bruder war nach 1944 auf Grund des beginnenden Kalten Kriegs nicht möglich. Er blieb bei seiner Tante Masha, der jüngeren Schwester seiner Mutter, und ihrem Mann Jouzas in Vilnius, die ihn beschützt hatten und sich zeitlebens bemühten, ihm Eltern-Ersatz zu sein.
Da ihm 1949 ein Studium an der chemischen Fakultät der Universität verweigert wurde, absolvierte er eine Lehrerausbildung und arbeitete als Diplomlehrer für Physik und Mathematik zunächst in Tauragė, ab 1955 in Vilnius. 1959 bildete er sich zwei Jahre in Moskau zum Computertechniker weiter und arbeitete bei seiner Rückkehr nach Vilnius bis zu seiner Pensionierung 1993 in der Computerentwicklung und als Chefkonstrukteur des Vilnaer Werks für Rechenmaschinen. Er lebte mit Frau und Familie in Vilnius und war jahrzehntelang Vorsitzender des Vereins „Ehemalige Ghetto- und KZ-Häftlinge Litauens“, der sich um die wenigen, meist mittellosen Überlebenden des Holocaust in Litauen kümmert.
Im Zusammenhang mit Tobias Jafetas Überlebensgeschichte sind vor allem drei Personen hervorzuheben: Pranė Juodvalkienė (geb. Špokaitė), das Kindermädchen von Tobias' Cousin Lev Frenkel, die u.a. den Familien Frenkel und Jafetas auch nach deren Abschiebung ins Ghetto zur Seite stand. Sie schmuggelte Lebensmittel ins Ghetto und organisierte Tobias' Flucht mit falschen Papieren aus dem Ghetto Kaunas nach Vilnius zu Tante Masha und Onkel Jouzas. Jouzas Katinskas war gebürtiger Litauer. Gemeinsam mit seiner Schwester, Kotrina Katinskaitė, schützten sie nicht nur Masha, sondern auch Tobias bis zur Befreiung durch die Rote Armee. Es war Kotrina, die den Jungen aus Kaunas abholte und ihn in ihrem Zimmer der kleinen Wohnung versteckte, die sie zusammen mit ihrem Bruder und dessen Frau sowie 2 jungen Männern – einem litauischen Polizisten mit Kontakten zur Gestapo und einem Studenten – bewohnte. Pranė Juodvalkienė, Jouzas Katinskas sowie Kotrina Katinskaitė wurden im Jahr 2006 von Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet.
Tobias Jafetas starb am 4. März 2019 in Vilnius.
Literatur / Medien
Bartusevicius, Vincas /Tauber, Joachim / Wette, Wolfram (Hg): Holocaust in Litauen, Köln u.a. 2003, S. 230-238; With a Needle in the Heart: Memoirs of Former Prisoners of Ghettos and Concentration Camps, Genocide and Resistance Research Centre of Lithuania, Vilnius 2003, S. 151-166.
http://www.centropa.org/biography/tobijas-jafetas
http://www.darmstaedter-geschichtswerkstatt.de//biographien