YIVO New York (Wikimedia Commons)Das „Yidisher Visnshaftlekher Institut” (YIVO) wurde 1925 auf einer Konferenz in Berlin gegründet und im damals polnischen Vilnius als akademische Einrichtung zum Studium ostjüdischer und jiddischer Kultur und Wirtschaft eingerichtet. Zu den Gründern gehörten der Philologe Max Weinreich, der Historiker Elias Tcherikower und der Sprachwissenschaftler Nochum Shtif, sowie eine Reihe namhafter Wissenschaftler, Philosophen und Ökonomen. Im 6-köpfigen Kuratorium saßen u.a. Sigmund Freud und Albert Einstein. Neben dem Hauptsitz Vilnius in der A. Vivulskio-Straße 18 gab es noch Zweigstellen in Berlin, Warschau und New York. Innerhalb weniger Jahre wurde das YIVO mit seinem umfassenden Bestand an jüdischer Literatur, Sachbüchern und Manuskripten zu einem anerkannten literarischen und wissenschaftlichen Zentrum und mit seiner 1937 festgesetzten Orthographie zur Autorität im Bereich der jiddischen Sprache. Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde der Sitz nach New York verlegt, bevor die Nationalsozialisten 1941 das Institut in Vilnius plünderten und das Gebäude des YIVO zum Sammelort der von der Außenstelle Vilnius des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg (ERR) geraubten jüdischen Kulturwerte machten. Im Februar 1942 wurde unter der Leitung von Herman Kruk, dem Leiter der Ghettobibliothek, eine Gruppe von Zwangsarbeitern aus dem Ghetto mit der Sammlung und Sortierung der Kulturgüter beauftragt. Die Gruppe setzte sich vor allem aus Künstlern und Schriftstellern zusammen, unter ihnen Abraham Sutzkever und Shmerke Kaczerginski. Sie retteten mit ihrer „Papierbrigade“, wie sie sich selbst nannten, aus dem YIVO unter Lebensgefahr tausende von Handschriften, Bücher und andere Kulturschätze. Ein bedeutender Teil der Bücher wurde nach Frankfurt a.M. in das Institut von Alfred Rosenberg transportiert, viele Bücher wanderten als Altpapier in Papierfabriken. Die versteckten Schätze aus dem Ghetto wurden nach der Befreiung von Vilnius 1944 teils nach New York geschmuggelt, teils blieben sie in Vilnius erhalten und konnten in den 1990er Jahren restauriert werden. Auch dank der Bemühungen der YIVO-Mitarbeiter in New York wurden ca. 50.000 aus Vilnius stammende jüdische Bücher und 30.000 Archivalien aus der Bundesrepublik nach New York gebracht.

Große Teile der berühmten jüdischen Strashun Bibliothek wurden von einem nichtjüdischen Bibliothekar, Antanas Ulpis, im Kellergewölbe der ehemaligen Kirche St. Georg versteckt. Ein großer Teil der Dokumente dieses Kirchenverstecks, rund 250.000 Seiten, wurden 1991 gefunden, aber erst 2016 in die neu eröffnete litauische Nationalbibliothek transferiert. 2017 wurden ein weiterer, 170.000 Seiten umfassender Fund von Dokumenten im Keller der ehemaligen St. Georg Kirche entdeckt.

Das YIVO befindet sich heute in New York und besitzt die weltweit größte Sammlung zur Geschichte und Kultur des zentral- und osteuropäischen Judentums, der jiddischen Literatur und Sprache, des Holocaust und der jüdischen Emigraon in die USA. Seit 2015 besteht zwischen dem YIVO New York, der Litauischen Nationalbibliothek und dem Litauischen Staatsarchiv eine Projektpartnerschaft zur Aufarbeitung dieses jüdischen Erbes.

(Stand Januar 2020)

Literatur / Medien
Atamuk, Solomon: Juden in Litauen. Ein geschichtlicher Überblick vom 14. bis 20. Jahrhundert, hrsg. von Erhard Roy Wiehn, Konstanz 2000, S. 180; Dieckmann 2011, Bd. 2, S. 1041; Fishman, David E.: Embers Plucked from the Fire. The Rescue of Jewish Cultural Treasures in Vilna, 2nd rev. ed. 2015;  Ders.: The Book Smugglers: Partisans, Poets and the Race to Save Jewish Treasures From the Nazis, ForeEdge 2017; Guzenberg, Irina: Vilnius. Sites of Jewish Memory. A Concise Guide, Vilnius 2013.

https://yivo.org/
https://de.wikipedia.org/wiki/YIVO
https://vilnacollections.yivo.org/Project-in-Vilnius
https://yivoencyclopedia.org/article.aspx/YIVO
https://www.nytimes.com/2017/10/18/arts/a-trove-of-yiddish-artifacts-rescued-from-the-nazis-and-oblivion.html