Region Pays de la Loire, Departement Loire-Atlantique
Der Ort
Stadt mit 11890 Einwohner/innen (2014), an der N 171, 70 km nördlich von Nantes, 60 km südöstlich von Rennes. Die Gedenkstätte an die Geiselerschießungen 'Carrière des Fusillés/La Sablière' liegt an der Route de Laval (D 177 →Pouancé, Laval), etwa 2 km außerhalb des Ortes.
Geschehen
Lager in Choisel
Die deutsche Wehrmacht brachte nach dem Einmarsch in Châteaubriant im Juni 1940 mehrere zehntausend Kriegsgefangene in vier Lagern im nahen Choisel unter; sie wurden im Januar 1941 nach Deutschland transportiert – mit Ausnahme der schwarzafrikanischen Soldaten (vgl. Tirailleurs sénégalais), die die Nazis nicht in Deutschland haben wollten. Nur das Lager C wurde weiter betrieben. Ab April 1941 wurden politische Gefangene eingeliefert, überwiegend Kommunisten, viele waren schon in der 3. Republik oder vom Vichy-Regime verhaftet worden (Näheres vgl. Choisel).
Geiselerschießungen
Nach dem tödlichen Anschlag auf den deutschen Feldkommandanten Karl Hotz am 20. Oktober 1941 in Nantes ordnete der deutsche Militärbefehlshaber in Frankreich, Otto von Stülpnagel, die Erschießung von 100 Geiseln an, 50 sollten sofort erschossen werden, die anderen 50, wenn die Täter nicht bis zum 23. Oktober gefunden worden seien. Er übergab dem Vichy-Innenminister, Pierre Pucheu, ein Liste mit über 100 Namen, aus der dieser 67 Personen auswählte, die meisten Kommunisten. Die endgültige deutsche Liste umfasste 50 Namen.
Am 22. Oktober 1941 stellten deutsche Soldaten in der Mitte des Lagers Choisel ein Maschinengewehr auf, um 14 Uhr schlossen sie 27 Männer in der Baracke 6 des Lagers ein. Man gab ihnen ein Blatt Papier – für einen Abschiedsbrief. Um 14.50 Uhr wurden sie auf einem Lastwagen zum Steinbruch „La Sablière“ gefahren, auf dem Weg durch die Stadt sangen sie die Marseillaise und die Internationale. Sie wurden in Gruppen zu dritt zum Erschießungsplatz gebracht, alle lehnten Augenbinden ab. Um 16.10 Uhr waren alle Männer erschossen. Ihre Leichname wurden von den Deutschen auf neun Friedhöfe der Umgebung verteilt. 21 weitere Geiseln wurden in Nantes und auf dem Mont-Valérien bei Paris erschossen (Näheres vgl. Nantes; zwei Namen waren im letzten Moment von der Liste gestrichen worden).
Die erschossenen Männer
Sie waren zwischen 17 und 58 Jahre alt, viele waren Arbeiter, andere Eisenbahner, Lehrer, Gewerkschaftsangestellte (Granet, Grandel, Michels, Poulmarc'h, Timbaud, Vercruysse), Studenten, Arzt, Seemann, Ingenieur. Alle bis auf einen waren Kommunisten, darunter zwei Trotzkisten. Kurzbiographien u.a. in http://maitron-fusilles-40-44.univ-paris1.fr/spip.php?mot1245
Henri Barthélémy aus Thoaurs (Deux-Sèvres), 58 Jahre, war Eisenbahner, seit 1913 in der Gewerkschaft, wurde 1940 wegen Verteilens der kommunistischen Zeitung Humanité verhaftet, 1941 erneut durch Entscheidung des Präfekten. Dem Lagerleiter von Choisel, der ihm eine Entlassung bei Abgabe einer Pétain-freundlichen Erklärung in Aussicht stellte, sagte er: „Ich bin erhobenen Hauptes hier hereingekommen, so werde ich auch hier herausgehen“ („Je suis entré ici la tête haute, j’en ressortirai de même.")
Jean-Pierre Timbaud, 31 Jahre, gelernter Bronzegießer, zeitweise Generalsekretär der CGT Metall-Gewerkschaft, aktiv in den Kämpfen vor der Volksfront, im Oktober 1940 von Vichy-Polizei verhaftet.
Titus Bartoli, 58 Jahre, geb. in Korsika, Lehrer aus Digoin (Saône-et-Loire, Burgund), aktiv in der Lehrergewerkschaft, am 21. Juni 1941 vehaftet wegen Flugblättern gegen den Überfall auf die Sowjetunion. Der jüngste mit 17 Jahren war Guy Môquet aus Paris, Student, aktiv in der (verbotenen) kommunistischen Jugend, verhaftet am 13. Dezember 1940; vgl. unten seinen Abschiedsbrief. Louis Aragon hat unter anderem ihm sein Gedicht 'Rose und Reseda' (La Rose et le Réséda) gewidmet.
Empörung in Frankreich
Die Geiselerschießung – eine Kollektivmaßnahme ohne Rücksicht auf individuelles Fehlverhalten – löste große Empörung in Frankreich aus. Das beeindruckte auch den Militärbefehlshaber, der um die Politik der Kollaboration fürchtete. Letztlich stellte er die Politik der Geiselerschießungen in Frage und schlug als Alternative u.a. umfangreiche Internierung von potentiellen Geiseln und deren Deportation „nach Osten“ vor, d.h. in die Konzentrations- und Vernichtungslager. Dies wurde ab Frühjahr 1942 umgesetzt – der erste Deportationstransport mit jüdischen Menschen aus Frankreich verließ Compiègne am 6. März 1942. Geiselerschießungen gingen allerdings weiter – jetzt unter Verantwortung des SS- und Polizeiführers Oberg.
Abschiedsbrief von Guy Môquet
„Meine liebe Mutter, mein sehr lieber kleiner Bruder, mein lieber Vater.
Ich stehe vor dem Tode. Ich bitte Euch, und Dich besonders liebe Mutter, mutig zu sein. Ich bin es und möchte es ebenso sein wie jene, die vor mir gestorben sind. Gewiss würde ich gerne leben, aber was ich von ganzem Herzen wünsche ist, dass mein Tod zu etwas gut sein möge. Ich hatte nicht Zeit, meinen Bruder Jean zu umarmen, ich habe meine beiden Brüder Roger und Rino umarmt, aber nicht meinen wirklichen. Leider. Ich hoffe, dass alle meine Sachen Dir zugesandt werden, sie werden Serge nutzen, der wie ich hoffe stolz sein wird, sie eines Tages zu tragen.
Dich lieber Vater, dem ich ebenso wie meiner lieben Mutter manchen Kummer gemacht habe, grüße ich zum letzten Mal. Glaube, dass ich mein Bestes tat, um dem Weg zu folgen, den Du mir gewiesen hast. Einen letzten Gruß an all meine Freunde und an meinen Bruder, von dem ich gerne sehe, dass er studiert, und dass er gut studiert, um später ein rechter Mann zu sein.
17 und ein halbes Jahr, mein Leben ist kurz gewesen, aber ich bedaure nur, dass ich Euch verlassen muss. Ich werde mit Tintin und Michels sterben. Mama, worum ich Dich bitte und was Du mir versprechen musst, das ist mutig zu sein und den Schmerz zu überwinden. Ich kann nicht mehr schreiben, ich verlasse Euch alle, alle, Dich Mama, Sésenge, Papa.
Ich umarme Euch mit kindlichem Sinn. Kopf hoch.
Euer Guy, der Euch liebt. Guy.“