Einführung
Vom Optionsvertrag (1939) zur „Operationszone Alpenvorland“ (1943–45)
Trentino-Südtirol ist seit 1971/72 eine autonome Region mit weitreichenden Selbstverwaltungsrechten. Nach Ende des Ersten Weltkriegs wurde im Vertrag von Saint-Germain (1919), der u.a. die territoriale Neuordnung Österreichs regelte, das heutige Südtirol und das Trentino (ehemals Welschtirol) Italien zugesprochen.
Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das damalige Deutsche Reich (März 1938) grenzte Südtirol wieder an Deutschland, was bei zahlreichen Südtirolern die Hoffnung förderte, die Region könne als Teil eines vereinigten Tirol wieder dem Deutschen Reich angegliedert werden. Die Politik der Annäherung zwischen dem faschistischen Italien und NS-Deutschland mit der 1936 vereinbarten „Achse Berlin-Rom" führte zu keiner Gebietsveränderung, sondern bestätigte vielmehr endgültig die Zugehörigkeit Südtirols zu Italien. Der 1939 zwischen den beiden Staaten ausgehandelte sog. Optionsvertrag eröffnete lediglich die Möglichkeit für die deutschsprachigen Bewohner, zwischen deutscher und italienischer Staatsangehörigkeit zu wählen. Wer sich für die Variante „deutsch“ entschied, musste in das Deutsche Reich übersiedeln, wofür sich über 70.000 Südtiroler entschieden. Dieser Status galt bis zum Kriegsaustritt und der Besetzung Italiens durch deutsche Truppen nach dem 8. September 1943. Die Provinzen Bozen, Trient und Belluno wurden auf Anordnung Hitlers zur „Operationszone Alpenvorland“ mit dem Obersten Kommissar Franz Hofer, dem Gauleiter von Tirol-Vorarlberg, zusammengefasst. Wie die Operationszone Adriatisches Küstenland (Friaul-Julisch Venetien) wurde die Alpen-Region faktisch auf einen Anschluss an das „Reich“ vorbereitet, gestützt nicht zuletzt auf den starken deutsch-österreichisch orientierten Bevölkerungsanteil. Zivilverwaltung, Wehrmacht, SS, unterstützt vom „Südtiroler Ordnungsdienst“, verhielten sich von Beginn an wie eine Besatzungsmacht auf zukünftig „reichsdeutschem“ Territorium. Noch Ende April 1945, wenige Tage vor der deutschen Kapitulation, griff Hitler den abstrusen Vorschlag Hofers auf, die Operationszone Alpenvorland zur „Alpenfestung“ des vor seinem Untergang stehenden Nazi-Imperiums auszubauen.
Während der zwanzig Besatzungsmonate 1943 bis 1945 herrschte in der Operationszone die gleiche Praxis der Verfolgung und Unterdrückung wie im übrigen italienischen Besatzungsgebiet. Sogar nach dem Inkrafttreten der Kapitulation vom 2. Mai 1945 fielen (im Zusammenhang mit der Entwaffnung deutscher Einheiten) sowohl Partisanen als auch Zivilisten Vergeltungsmaßnahmen der SS zum Opfer (Bozen). Den schlimmsten Ausdruck fand der Besatzungsterror in der in der Operationszone Alpenvorland in der Errichtung des Durchgangslagers Bozen-Gries, das von Sommer 1944 bis Anfang Mai 1945 als Nachfolge-Ort für das aufgegebene Lager Fossoli eingerichtet und zur Leidensstation für Juden und politische Gefangene wurde.
Judenverfolgung: Kollaboration und Hilfe
Die meisten Juden – unter ihnen zahlreiche, die nach 1933 aus Deutschland und nach 1938 aus Österreich geflohen waren – hatten die Provinzen der späteren Operationszone Alpenvorland nach Erlass der italienischen Rassegesetze 1938 (Judenverfolgung in Italien) und nach dem deutsch-italienischen Optionsvertrag von 1939 verlassen. Die schon wenige Tage nach dem Einmarsch der Deutschen im September 1943 einsetzende Verfolgung der Juden in Operationszone Alpenvorland zeichnete eine doppelte Besonderheit aus: in der Provinz Südtirol fand auf Befehl der SS vom 12. September 1943 eine der ersten Massenverhaftungen von Juden in Italien überhaupt statt, unterstützt durch Denunziationen und durch Kollaboration von Seiten der Bevölkerung und des Südtiroler Ordnungsdienstes. Betroffen von der am 16. September durchgeführten Aktion war vor allem die jüdische Gemeinde von Meran. Im Unterschied zu dem in Südtirol verbreiteten Antisemitismus verhielt sich die italienische Mehrheitsbevölkerung des Trentino und in der Provinz Belluno bei der Verhaftungswelle im September 1943 mit verfolgten Juden vielfach solidarisch, denen in vielen Fällen – auch von Bürgermeistern und Polizeibeamten! – Hilfe gewährt wurde. Eine Anzahl der bedrohten Juden konnte über die Schweizer Grenze fliehen, die meisten jedoch wurden von den Deportationen erfasst und haben die deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager nur ausnahmsweise überlebt.
Vergeltung, Hinrichtung und Massaker
Mit genauen Daten sind „Deutsche Vergeltungsmaßnahmen, Hinrichtungen und Massaker in der Operationszone Alpenvorland (1943 bis 1945)“ auf einer vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Potsdam verantworteten Regionalkarte (Wedekind, S. 322) und in einer ausführlichen tabellarischen Übersicht nach Datum, Ort und Ereignis (Wedekind S. 459 ff.) verzeichnet.
Informationen: Fondazione Museo Storico del Trentino, Via Torre d'Augusto 35-41, 38122 Trento, Tel. +39 0461 230482, [email protected], fondazione.museostorico.it.
Literatur / Medien:
Benz, Wolfgang, Graml, Hermann, Weiß, Hermann (Hg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus. Neubearbeitung München 2007, dort Stichworte: Alpenfestung, Alpenvorland, Südtirol; Wedekind, Michael: Nationalsozialistische Besatzungs- und Annexionspolitik in Norditalien 1943 bis 1945. München 2003, insbes. S. 351 ff. und S. 452 ff.; Lun, Margareth: NS-Herrschaft in Südtirol, Innsbruck 2004; Di Michele, Andrea, Taiani, Rodolfo: Die Operationszone Alpenvorland im Zweiten Weltkrieg, Bozen 2009; Dizionario della Resistenza, nuova edizione, a cura di Enzo Collotti, Renato Sandri e Frediano Sessi, Einaudi, Torino 2006; S. 179 ff.; de.wikipedia.org/wiki/Trentino-S%C3%BCdtirol; de.wikipedia.org/wiki/Operationszone_Alpenvorland;
Foto: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Tirol-Suedtirol-Trentino.svg;
www.storiaxxisecolo.it/Resistenza/resistenza5a.htm (La Resistenza in Trentino);
www.storiaxxisecolo.it/Resistenza/resistenza5b.htm (La Resistenza in Alto Adige)
www.pietredellamemoria.it/regioni/trentino-alto-adige/
Gedenkorte der Region Südtirol - Trentino