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Bastia

Region Korsika (Corse), Departement Haute-Corse

Der Ort
Hafenstadt im Nordosten der Insel, wirtschaftliches Zentrum, Hauptort des Departements Haute-Corse, ca. 43.000 Einwohner/innen; während des Kriegs größte korsische Stadt. Bahnhof: nach Ajaccio ca. 3 ½ , nach Calvi 3, nach Corte 1 ½  Stunden. Mit dem Auto nach Ajaccio 148 km (N 193), nach Corte 68 km (N 193), nach Porto-Vecchio 144 km (N 198), nach Bonifacio 172 km (N 198). Hafen: Fähren von und nach Frankreich und Italien.

Die Ereignisse
Angesichts irredentistischer Ansprüche Mussolinis auf Korsika leisteten tausende Korsen am 4. Dezember 1938 vor dem Totendenkmal auf dem Place Saint-Nicolas in Bastia einen feierlichen Eid: „Im Angesicht der Welt schwören wir von ganzem Herzen, auf unsere Ehre, auf unsere Gräber, auf unsere Wiegen, als Franzosen zu leben und zu sterben.“

Unter dem Vichy-Regime
Erste individuelle Proteste gegen das Vichy-Regime waren Flugschriften (Nieder mit Mussolini! oder: Nieder mit Pétain, nieder mit Vichy!) und Klebezettel. Im Frühjahr 1941 besuchte Pierre Georges, der spätere „Colonel Fabien“, in Bastia Anhänger der kleinen (ab 1939 verbotenen) Kommunistischen Partei und der kommunistischen Jugend (u.a. Batti Fusella und Léo Micheli). Er ermunterte sie, sich trotz der abwartenden Haltung der meisten Korsen und trotz der Verfolgung und Inhaftierung von Mitgliedern, weiter zu engagieren, die Befreiungsfront FN aufzubauen und in ihr den Widerstand zu verbreitern. Der im Frühjahr 1942 abgesetzte Bürgermeister Hyacinthe de Montera nahm im Dezember 1942 Mitglieder der Mission „Pearl Harbor“ in seiner Wohnung am Bd. Paoli Nr. 35 auf.

Schwur 1938 (mit frdl. Genehmigung des Museums Zonza) Totendenkmal am Place Saint-Nicolas (© www.petit-patrimoine.com) Tafel  „Berceau de la Résistance“, 23 Bd. Paoli Gedenktafel, 35 Bd. Paoli

Italienische Besatzung
Ab 11. November 1942 kamen die ersten italienischen Besatzungssoldaten über den Hafen von Bastia nach Korsika, es wurden bald 80.000 – bei 200.000 Einwohnern. In Bastia waren sie vor allem in den Kasernen Marbeuf und Saint-Joseph untergebracht, die auch als Verhör- und Folterzentren dienten. Nach und nach nahm der Widerstand Formen an: Combat und das gaullistische Netzwerk R 2 (Fred Scamaroni) hatten kleine Gruppen. Nach deren Zerschlagung blieb die Nationale Befreiungsfront FN als stärkste Kraft übrig, in der sich alle Bewegungen einigten. Sie setzte auf Information, Aufklärung und Mobilisierung, u.a. durch Gespräche, Flugbätter und eine illegale Zeitung mit dem Ziel, die Passivität der Bevölkerung zu überwinden und die Menschen zum Handeln zu bewegen. Sie verknüpfte Tagesforderungen mit politischen Zielen. Am 22. und 23. März 1943 gingen etwa 10.000 Hausfrauen, Schüler/innen und Hafenarbeiter für „Brot und Freiheit“ auf die Straße; an der Spitze vier Frauen mit Vornamen Louise: Cimino, Lucchesi, Marini und Reboli. Carabinieri, „Schwarzhemden“, militärischer Geheimdienst SIM und die Geheimpolizei OVRA verfolgten den stärker werdenden Widerstand unerbittlich. Das italienische Militärgericht für Korsika mit Sitz in der Zitadelle von Bastia verurteilte siebzehn Widerständler zum Tod (u.a. Jean Nicoli) oder zu langen Haftstrafen, was Deportation nach Italien bedeutete (Elba, Kalabrien, Castelfranco Emilia); zahlreiche Widerstandskämpfer wurden erschossen, auf einem Platz unterhalb der Kaserne Saint-Joseph (heute „Carré des Fusillés“).  

Zitadelle (Teilansicht) Stele für Jean Nicoli vor dem Lycée Tafel im Innern des Lycée Erschießungsplatz Carré des Fusillés Turm des U-Boots Casabianca auf Pl. Saint-Nicolas, Bastia

Befreiung von Bastia
Am 8. September 1943, als der italienisch-alliierte Waffenstillstand bekannt wurde, verteilte die FN dreisprachige Flugblätter, in denen sie die Bevölkerung und insbesondere die italienischen Soldaten zum Handeln an der Seite der Résistance aufforderten. Am 9. September morgens wurde der Aufruf zum Volksaufstand verteilt, korsische Patrioten besetzten mit Unterstützung italienischer Soldaten (!) die Zitadelle, das Rathaus, die Unterpräfektur, die Lokale der Vichy-Presse, -organisationen und -parteien, den Bahnhof, die Staatsbank und die Hauptverkehrsadern; als neuer Bürgermeister wurde Simon Vinciguerra eingesetzt. Italiener feuerten auf deutsche Kriegsschiffe, in der Stadt wurde zwischen Italienern und Deutschen gekämpft, am 14. September hatten die Deutschen Bastia wieder „unter Kontrolle“. Für die Wehrmacht war Bastia der wichtigste Ausschiffungshafen für ihre Divisionen nach Italien – es galt für sie, gegen die am 8. September im Golf von Salerno gelandeten Alliierten zu kämpfen. Mitte September / Anfang Oktober wurde die Lage immer dramatischer. Die US-Luftwaffe bombardierte fünfmal deutsche militärische Einrichtungen in Bastia,  das letzte Mal – irrtümlich – nach Abzug der Deutschen; es gab hunderte Tote und Verwundete unter der Bevölkerung, zahlreiche Gebäude wurden zerstört. Von Süden, Westen und Norden rückten korsische Partisanen und freifranzösische Kräfte (zum großen Teil marokkanische Goumiers; vgl. Pässe San Stefano und Teghime) mit Unterstützung italienischer Soldaten vor und marschierten am 4. Oktober als Befreier in Bastia ein, die letzten deutschen Soldaten hatten die Stadt verlassen. Am 4. Oktober 1943 war Bastia frei – aber auch stark zerstört.

Haus am alten Hafen Gedenktafel am Haus Totendenkmal 1939–1945 (© Laetitia Filippi, genweb) Auszeichnung Bastias mit dem Croix de Guerre Widerstandsdenkmal vor dem Rathaus Gedenktafel am Hafen Terminal-Sud Ehrenlegion für marokkanische Goumiers und Résistants (© ANACR 2B)

Gedenken
Die Korsen schworen den Eid 1938 auf dem zentralen Place Saint-Nicolas. Die Idee wurde geboren u.a. im „Café des Gourmets“, Boulevard Paoli Nr. 23; eine Tafel neben dem Eingang erinnert an die „Wiege des Widerstands“; einer der Besitzer wurde Anfang 1943 von den Italienern vorübergehend inhaftiert. Etwas weiter unten, im Haus Boulevard Paoli Nr. 35, beherbergten der von Vichy abgesetze Bürgermeister Hyacinthe de Montera und sein Sohn Mitglieder der Mission Pearl Harbor; eine Gedenktafel erwähnt Einzelheiten. Auf dem Sockel des Turms des U-Boots „Casabianca“ (am nordöstlichen Ende des Pl. St. Nicolas) berichten Tafeln von der Anladung der Waffen für die Résistance, dem Absetzen des Stoßbataillons und von den verschiedenen Landungsorten.
Im Gebäude der ehem. Kaserne Marbeuf ist heute das „Lycée Jean Nicoli“ untergebracht, Cours Henri Pierangeli, nördlich vom Platz St. Nicolas. Vor dem Haupteingang  ist eine Stele dem „Märtyrer der Freiheit und hervorragenden Lehrer“ gewidmet. Er war „Maquiskämpfer, Führungsmitglied der FN Korsikas. Von den Faschisten gefoltert, die sein Blut auf den Ehrenhof dieses Gebäudes vergossen. Verurteilt zum Erschießen in den Rücken wurde er am 30. August 1943 enthauptet.“ Die Zitadelle, Haft- und Folterort vieler korsischer Widerständler (aber auch Wohnort mit zwei Kirchen etc.), ist heute zum größten Teil allgemein zugänglich. An einem (von den Bomben nicht zerstörten) Haus am alten Hafen, am Anfang des Quai Albert Gillio, erinnert eine Tafel an vier Hausbewohner, die während der Befreiung als „Opfer des Faschismus“ umgekommen sind; eine weitere Tafel an den Widerstandskämpfer Jean-Baptiste „Batti“ Fusella, der hier gelebt hatte (s. hier).  Am Ende der aus der Oberstadt nach Süden führenden Rue César Vezzani befindet sich das Carré des Fusillés. Es gedenkt der „hier 1943 hingerichteten Patrioten und Résistants. Sie haben ihr Lebens für die Freiheit des Vaterlandes gegeben. Mit dem Gedenken an sie ehren wir alle Opfer des Faschismus.“ Das Denkmal für die Kriegstoten 1939–1945 nennt die Namen vieler getöteter Résistants aus Bastia und seiner Region (auf dem Cimetière / Friedhof, Allée C; am Ende der aus Bastia-Oberstadt nach Süden herausführenden Avenue de la Libération, wo sie auf die N 193-Umgehung trifft).
Im Eingangsbereich des Rathauses hängt die Urkunde über die Auszeichnung der Stadt mit dem Croix de Guerre. Zwischen Rathaus und Rond-Point Noguès steht das Widerstandsdenkmal von Bastia. Auf der anderen Seite der N 193 erinnert eine Gedenktafel am neuen Gebäude des Hafenterminals Süd an die Befreiung des ersten französischen Departements durch den Aufstand vom 9. September 1943 und die gemeinsamen Kämpfe korsischer Patrioten und freifranzösischer Soldaten.
In der Rue du Castagno befindet sich die Synagoge Beth Meir (vgl. Asco).
Aus Anlass des 70. Jahrestages der Befreiung von Korsika besuchte der frz. Staatspräsident Hollande am 4. Oktober 2013 Bastia und ernannte Widerstandskämpfer (u.a. Jean-Paul Giovanni, Sartène, und Léo Micheli) und marrokanische Soldaten für ihren Beitrag zur Befreiung zu Rittern Ehrenlegion.

Literatur/Medien
Chaubin, Hélène: La Corse à l’épreuve de la guerre 1939 – 1943, Paris 2012
Choury, Maurice: Tous bandits d'honneur! Résistance et Libération de la Corse (Juin 1940 – Octobre 1943), Neuauflage Ajaccio 2011
Résistance et Libération de la Corse, Ajaccio 1993, S. 33, 42, 69-74, 85
A Memoria, Bulletin de l'ANACR 2B, N° 22  Juin 2009 und N° 26 Supplément Déc. 2010, p. 11f.
Corse-matin, 20. September, S. 9, und  4. Oktober 2013, S. 1 - 5
www.resistance-corse.asso.fr/fr/histoire/histoire-de-la-resistance/l-entre-deux-guerres/le-serment-de-bastia/
www.resistance-corse.asso.fr/fr/histoire/histoire-de-la-resistance/l-entre-deux-guerres/la-corse-des-annees-1930-la-seconde-guerre-mondiale/2/
www.resistance-corse.asso.fr/histoire-le_serment_de_bastia_contre_les_pretentions_annexionnistes_de_mussolini.html