Region Piemont / Provinz Turin
Der Ort
Torre Pellice ist mit ca. 4.660 Einwohner/innen (Stand: 31. Dezember 2011) der Hauptort des in den Cottischen Alpen liegenden Val Pellice. Noch heute ist Torre Pellice das Zentrum der Waldenser, Angehörige einer im 12. Jahrhundert entstandenen Laien-Reformbewegung, die sich ausschließlich an der Bergpredigt orientierte, den Alleinvertretungsanspruch der Kirche ablehnte und wie andere vorreformatorischen Gruppierungen als Ketzer von der Inquisition erbarmungslos verfolgt wurde. Nach jahrhundertelanger Unterdrückung erlangten die Waldenser erst im Jahr 1848 ihre vollen bürgerlichen Rechte im damaligen Königreich Piemont-Savoyen. Der Ort liegt ca. 55 km südwestlich von Turin und ist von dort aus über die Schnellstraße A55 bis Pinerolo, weiter auf der Strada Provinciale SP 161 erreichbar.
Die Ereignisse
Nach Einführung der Rassegesetze von 1938 haben die Waldenser in Torre Pellice den Schutz von Juden und anderen politisch Verfolgten zu einem ihrer Hauptanliegen gemacht. Viele derjenigen, die hier Unterschlupf fanden, schlossen sich unmittelbar nach dem 8. September 1943 den Partisanen an. Meist auf Seiten von Giustizia e Libertà (Antifaschistische Parteien). Seit dem Kriegseintritt Italiens 1940 wurde bereits in waldensischen Organisationen und Zirkeln, die einen Gegenentwurf zur faschistischen Massenverdummung lieferten, diskutiert, dass Widerstand gegen ein verbrecherisches Regime legitim sei, dass gerade Christen dazu aufgerufen seien, notfalls mit Gewalt auf Gewalt zu reagieren. Gleich nach der Waffenstillstandserklärung wurden Flugblätter gedruckt und die Bevölkerung zum Widerstand gegen die deutsche Besatzung aufgerufen. Viele Waldenser schlossen sich der Resistenza an. Später wurde hier auch eine eigene Untergrundzeitung gedruckt („Il Pioniere“). Der Opfern dieses Widerstands wird an vielen Stellen in Torre Pellice gedacht.
Gedenken
In der Caserma Giovanni Ribet waren ab Februar 1944 Einheiten der italienischen SS untergebracht, unter dem Kommando von SS-Brigadeführer und Generalmajor der Waffen-SS Peter Hansen in Pinerolo. Danach war die Kaserne auch Stützpunkt der zu Durchkämmungsaktionen herangezogenen Einheiten der 5. Gebirgs-Division. Heute befindet sich in der Kaserne die Biblioteca della Resistenza Carlo Levi mit einem Bestand von über 2.000 Büchern zur Geschichte der Resistenza.
In der Zelle gleich rechts hinter dem Kasernentor wurde Willy Jervis (1901–1944), einer der bekanntesten Protagonisten des Widerstands in Torre Pellice, kurz vor seiner Erschießung am 5. August 1944 gefangen gehalten. Der Ingenieur brachte aus Internierungslagern geflohene englische und amerikanische Kriegsgefangene ins Tessin, führte viele Gruppen von Juden mit vorher eigens gefälschten Ausweispapieren über die grüne Grenze in die sichere Schweiz und fungierte als Nachrichtenübermittler zwischen dem Hauptquartier des CLN und Allen Dulles, dem Gesandten des amerikanischen Geheimdienstes OSS (Office of Strategic Services). Nachdem er am 11. März 1944 den Deutschen in die Hände gefallen war, wurde Jervis nach ersten Folterungen in die Carceri Nuove nach Turin überführt. Dort blieb er knapp 4 Monate inhaftiert, dann wurde er zurück ins Val Pellice gebracht. Nach einer Übernachtung in der Zelle der Caserma Ribet wurde er am 5. August 1944 zusammen mit vier anderen Gefangenen auf einem LKW nach Villar Pellice gefahren und dort erschossen. Ihre Leichen wurden auf dem Dorfplatz an Balkone und Straßenlampen gehängt. Willy Jervis konnte später nur anhand der neben ihm liegenden Bibel identifiziert werden.
Die Kaserne befindet sich an der Piazza Gianavello, Via Arnaud 30. Zur Bibliothek geht man durch das Kasernentor hindurch, nach ca. 20 Metern rechts im Gebäude der Associazione Telesoccorso Valpellice (Öffnungszeiten: Di 15.30–18.30 Uhr, Fr/Sa 10.30–12.30 Uhr).
An der Via Beckwith / Ecke Via Volta, an der sich Kirche, Kulturzentrum, Kollegium und Museum der Waldenser befinden, gibt es eine Gedenkstätte für die Resistenza. Schräg gegenüber befindet sich die Gedenkstätte für die Opfer der in den Lagern Umgekommenen des Val Pellice.
Nur wenige hundert Meter weiter (Via Volta, Ecke Strada Provinciale SP 161) befindet sich ein Gedenkstein für Jacopo Lombardini: Der Seelsorger und politische Kommissar der Partisanengruppe von Bagnau wurde während einer Durchkämmungsaktion im Vallone di Giulian gefangen genommen, nach Mauthausen deportiert und dort am 24. April 1945 umgebracht.
Am Ortsausgang von Torre Pellice wird im kleinen Giardini Martiri della Rosa Bianca mit Gedenktafeln der Opfer eines Partisanenangriffs auf die Kaserne von Bobbio Pellice im Februar 1944 und der Staffette Jenny Peyronel Cardon gedacht, die noch am 26. April 1945 getötet wurde.
Villar Pellice
Folgt man der Strada Provinciale Richtung Talschluss, wird nach ca. 7 km Villar Pellice erreicht. Im links von der Straße liegenden Ortskern ist der zentrale Platz nach Willy Jervis benannt. Dort befindet sich auch eine Gedenktafel. Darauf stehen die letzten Worte Willy Jervis’ an seine Frau Lucilla: „Non compiangermi, ne chiarmarmi povero; Muoio per aver servito una idea“ – Beweint mich nicht, nennt mich nicht unglücklich. Ich sterbe dafür, einer Idee gedient zu haben. Diese Worte hatte Jervis mit einer Stecknadel in den Innendeckel seiner Bibel geritzt, die in der Nähe seiner Leiche gefunden wurde.
Auf der Hochebene Conca del Prà im Talschluss des Val Pellice, die ab Juni 1944 für alliierte Versorgungsabwürfe genutzt wurde, errichtete der italienische Alpenverein im Jahr 1950 das Rifugio Willy Jervis in Erinnerung an diesen Mann.
Bagnau im Angrognatal
In die Abgeschiedenheit des bis Mitte des 20. Jahrhunderts nur über einen Saumpfad erreichbaren Angronatals zogen sich verfolgte Waldenser und Antifaschisten aus Torre Pellice und Luserna im September 1943 zurück. Die aus ca. 20 Männern bestehende Gruppe errichtete im Weiler Bagnau ihren Stützpunkt. Das Haus, in dem ihr Hauptquartier untergebracht war, wurde später von der Chiesa Valdese di Angrogna restauriert und dient heute als Cà d’la Pais, Haus des Friedens, als Begegnungsstätte.
Ganz in der Nähe, aber nur über einen Wanderweg erreichbar, wurden die ersten Ausgaben der Partisanen-Zeitung Il Pioniere in der Felsensiedlung Barma de l’Ours auf über 1.200 Metern Höhe verfasst. Unter der Leitung von Gustavo Malan erschien die erste hektographierte Ausgabe dieser Zeitung der Partito d'Azione des Val Pellice am 30. Juni 1944 in einer Auflage von 800 Kopien. Ab November 1944 wurde die wöchentlich erscheinende Zeitung in Torre Pellice gedruckt.
Literatur / Medien:
Bade, Sabine und Mikuteit, Wolfram: Partisanenpfade im Piemont. Wege und Orte des Widerstands zwischen Gran Paradiso und Monviso. Ein Wanderlesebuch. Konstanz 2018; Tibaldo, Lorenzo: Quando suonò la campana. Willy Jervis (1901–1944), Turin 2005