Rachel Kostanian wurde am 31. Januar 1930 als Tochter des Ehepaars Zivelchinski in Šiauliai geboren. Von 1937 bis 1941 besuchte sie dort die jüdische Schule. Während der Sowjetrepublik 1940/41 war ihr Vater Oberster Richter für Distrikt und Stadt Šiauliai, außerdem Mitglied der Kommunistischen Partei. Bevor die deutsche Wehrmacht nach dem Überfall auf die Sowjetunion am 27. Juni 1941 Šiauliai einnahm, flüchteten zahlreiche Juden und Kommunisten in die Sowjetunion. Rachels Vater konnte sie und ihre Mutter in einen Zug in Richtung Gorki (heute Nischni Nowgorod/Wolga-Region) bringen, er selbst wurde auf der Flucht von deutschen Fallschirmjägern erschossen.
In Gorki wurde Rachel und ihre Mutter dem Städtchen Balachna in der Nähe von Gorki zugeteilt. Rachel wurde mit ungefähr 200 litauischen Flüchtlingskindern in einem litauischen Kinderheim in Debyosy, einer Kleinstadt am Ostrand der Wolga-Region, untergebracht.
Nach der Rückeroberung Litauens durch die Rote Armee 1944 kehrten Rachel und ihre Mutter nach Vilnius zurück. Rachel besuchte dort das Gymnasium und studierte anschließend Jura an der Universität. Weil sie nach dem Studienabschluss keine Arbeit als Juristin fand, begann sie am Pädagogischen Institut der Universität Englischkurse zu geben und studierte daneben selbst englische Sprache. Am Ende wurde sie im Fach Englisch graduiert.
1956 heiratete sie den armenischen Elektroingenieur Genrich Kostanian und zog mit ihm in das heutige Vanadzor in Armenien, wo sie an einer Musikschule Englischunterricht erteilte. Das Paar kehrte mit Sohn Erik 1960 wieder nach Vilnius zurück, Rachel fand Anstellung als Übersetzerin in der gleichen Firma wie ihr Mann. Als die Litauische Regierung 1989 die Errichtung eines Jüdischen Museums genehmigte, gab Rachel ihren Übersetzerjob auf und übernahm eine Vollzeitstelle als historisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin und Vizedirektorin des Jüdischen Museums. Gemeinsam mit Rachel Margolis und anderen Überlebenden baute sie die Holocaust Ausstellung im Grünen Haus auf, das 1991 eröffnet wurde. Rachel Kostanian leitete das Grüne Haus mehr als zwei Jahrzehnte, bis sie im Jahr 2016 in den Ruhestand trat und seither bei ihrem berufstätigen Sohn in Berlin lebt.
In über zwanzig Jahren hatte sie mit Historiker*innen, Archivar*innen und ehrenamtlichen Forscher*innen Zeugnisse, Materialien, Fotos, Karten und Artefakte aus dem untergegangenen Leben Litauens gesammelt, hatte an internationalen Konferenzen teilgenommen, hatte publiziert. Unter ihrer Verantwortung sind Quellen zum Holocaust in Litauen und zum jüdischen Wilna zugänglich gemacht worden. Das Ziel aller Arbeit war dabei, die Erinnerung an das an den litauischen Juden begangene Verbrechen für zukünftige Generationen wachzuhalten.
Dank ihres Engagements wurde das Grüne Haus weit über die Grenzen Litauens hinaus bekannt: inzwischen kommen jährlich ungefähr fünftausend Besucher aus vielen Ländern, vor allem aus „Einwanderungsländern“ emigrierter und überlebender Jüdinnen und Juden – Israel, USA, Südafrika, Großbritannien, aber auch aus Westeuropa – unter ihnen Angehörige von Überlebenden, auf den Spuren des Schicksals ihrer Familien und auf der Suche nach ihren Wurzeln. Gemeinsam mit Solomon Atamukas veröffentlichte sie 1996 die Geschichte des Jüdischen Museums in Vilnius „The Jewish State Museum of Lithuania“, 2002 publizierte sie die Monografie „Spiritual Resistance in the Vilna Ghetto“, 1999 erschien die von ihr mitherausgegebene Sammlung „Vilna Ghetto Posters“, die Nachdrucke von Originalplakaten aus dem Ghetto der Jahre 1941/1943 enthält.
(Stand Dezember 2019)
Literatur / Medien
Kostanian-Danzig, Rachel: Spiritual Resistance in the Vilna Ghetto, Vilnius 2002;
Esther Goldberg: Historian whose task is remembrance of the Holocaust – Rachel Kostanian, in: http://holocaustinthebaltics.com/wp-content/uploads/2010/10/20108SeptGGoldergOnKostanian.pdf;
http://www.jmuseum.lt/en/holocaust-exhibition/
Dovid Katz: https://www.youtube.com/watch?v=2zXSPQAyDAM (2015)
http://defendinghistory.com/the-green-house
https://www.ehri-project.eu/vilna-gaon-state-jewish-museum (Foto Führung)