Grigorij Schur wurde 1888 in Vilnius geboren, sein Vater betrieb ein Farbengeschäft. Nach Abschluss des Gymnasiums arbeitete er als Journalist, war als politisch Verfolgter im russischen Zarenreich nach Astrachan verbannt und kehrte 1913 nach Vilnius zurück. Nach 1917 diente er kurz in der Roten Armee, wurde unter der polnischen Regierung inhaftiert und übernahm nach seiner Freilassung das Farbengeschäft seines Vaters, etwas später eröffnete er ein Geschäft für Elektrogeräte. Nach der Übernahme Litauens durch die Sowjetunion 1940 wurde er Redakteur einer kleinen Zeitung. Unmittelbar nach dem Überfall der deutschen Wehrmach im Juni 1941 begann die Verfolgung und Ghettoisierung der Juden. Grigorij Schur begann mit der Aufzeichnung der Ereignisse bereits in den ersten Tagen, nachdem er die Ermordung von Juden und sowjetischen Soldaten beobachtet hatte. Wie alle Juden, wurde auch Schur mit seiner Frau und den beiden Kindern in das Ghetto von Vilnius getrieben. Von dort wurde er mit der Familie in die Pelzfabrik Kailis verlegt, wo er für die Aussortierung von Soldatenuniformen zuständig war. Jeden freien unbeobachteten Augenblick nutze er für seine Aufzeichnungen: die Schilderung von "Aktionen", Massenmorden, von der allmählichen Vernichtung der jüdischen Bevölkerung, aber auch von Kollaboration und Grausamkeit innerhalb des Ghettos und der Ghetto-Polizei.
Die Aufzeichnungen Schurs enden im April 1944 mit dem "Kinderraub" am 27. März 1944, dem auch sein 13jähriger Sohn zum Opfer fiel. Kurz nach dieser letzten Eintragung wurde Grigorij Schur in das KZ Stutthof deportiert und bei Liquidierung des Lagers im Dezember 1944 mit Hunderten Gefangenen im Meer ertränkt.

Dass Schurs Manuskripte gerettet wurden, war im Wesentlichen das Verdienst der litauischen Bibliothekarin Ona Šimaitė. Sie schmuggelte seine insgesamt 39 Hefte unter Einsatz ihres Lebens aus dem Ghetto und versteckte sie im Fußboden der Wilnaer Universitätsbibliothek. Nach dem Krieg teilte Ona Schimaite aus Frankreich dem neu gegründeten Jüdischen Museum in Vilnius das Versteck der Niederschriften mit, die nach dessen Auflösung 1949 im Museum der Geschichte der Revolution verschwanden. Eine Museumsmitarbeiterin fertigte heimlich ein Typoskript für die überlebende Tochter Miriam an, die mit ihrem Mann 1960 nach Israel emigrierte. Gemeinsam mit Wladimir Porudominskij, dem Neffen Schurs, gelang es nach vielen vergeblichen Versuchen, die Aufzeichnungen in den Niederlanden und in Deutschland zu veröffentlichen. In Israel hat sich bis 2001 kein Verlag gefunden. Als Grund dafür vermutete Miriam Povimonskaja-Schur, dass die Rolle des Ghettoleiters Jakob Gens von Yad Vashem positiv beurteilt wird, während Schur ihn als "Ghettodiktator" bezeichnet und die Zugeständnisse, die er den Deutschen machte, als verfehlte Taktik verurteilte. Das Thema Kollaboration von Juden mit den Nazis sei in der Öffentlichkeit in Israel immer noch ein Tabuthema. (Moser, 2001)

Literatur / Medien
Die Juden von Wilna. Die Aufzeichnungen des Grigorij Schur 1941–1944, hrsg. von Wladimir Porudominskij, München 1999. S. 101, S. 193
Moser, Thomas: Eine unerwünschte Chronik, in: http://hagalil.com/archiv/2001/01/wilna.htm
http://juden-in-europa.de/baltikum/vilna/krieg.htm