Abba Kovner wurde 1918 in Sewastopol auf der Krim-Halbinsel geboren, wuchs in Vilnius auf und schloss sich als Jugendlicher der sozialistisch-zionistischen Jugendbewegung Hashomer Hatzair an. Während der sowjetischen Besatzung von Vilnius 1939–1941 war er im zionistischen Untergrund aktiv, nach dem deutschen Einmarsch gründete er im Ghetto von Vilnius eine Widerstandsgruppe und verfasste Ende Dezember 1941 einen Aufruf zum Widerstand gegen die deutsche Besatzung, der wenig später auch in anderen Ghettos (u.a. in Kaunas, Białystok und Warschau) verbreitet wurde und dessen Kernsatz lautete: „Widerstand bis zum letzten Atemzug!“, die Juden sollten sich nicht „wie die Schafe zur Schlachtbank“ führen lassen. Daraufhin gründete sich im Januar 1942 die Fareynegte Partizaner Organizatsye (FPO) als Zusammenschluss nationalistischer, linker und religiöser Widerstandsgruppen in Vilnius. Nach der Ermordung des FPO-Führers Yitzak Witenberg im Juli 1943 wurde Kovner dessen Nachfolger. Die FPO versuchte, bewaffneten Widerstand zu organisieren, scheiterte aber letztlich an der Übermacht der SS, ihrer Hilfstruppen und an mangelnder Unterstützung der von Elend und Massenmord geschwächten Ghettogefangenen. Eine große Gruppe von FPO-Kämpfern schaffte in den Wochen vor der Liquidierung des Ghettos im September 1943 den Ausbruch und schloss sich sowjetischen Partisanen an, bevor sie eigene Kampfgruppen bildeten.
Die von Kovner geführte Partisaneneinheit „Die Rächer“ war im Juli 1944 an der Befreiung Wilnas durch die Rote Armee beteiligt. Noch vor Ende des Krieges gründete er eine Organisation, die die Suche nach Naziverbrechern und deren Tötung zum Ziel hatte. Er brach diese Racheaktionen 1946 ab und widmete sich der organisierten Fluchthilfe für Holocaust-Überlebende aus Osteuropa auf dem Weg nach Palästina. Später kämpfte er im israelischen Unabhängigkeitskrieg 1947/1948. Danach begann er eine neue Lebensphase als Schriftsteller und lebte im Kibbuz Ein Hahoresh zusammen mit seiner Ehefrau Vitka Kempner und ehemaligen Gefährten und Freunden wie Rozka Korczak. In den folgenden Jahren arbeitete Kovner als Journalist und Schriftsteller, es erschienen Gedicht- und Prosapublikationen, die gemäß Kovners Verfügung nicht ins Deutsche übersetzt werden dürfen. Im Prozess gegen Adolf Eichmann (1961) trat Kovner als Zeuge auf, worüber u.a. Hannah Arendt berichtet hat. Abba Kovner war, neben anderen Anführern der Widerstandsbewegung in Vilnius, maßgeblich am Aufbau von Moreshet beteiligt, heute ein anerkanntes Forschungsinstitut und Wissenschaftszentrum für Holocaust-Studien. 1970 erhielt Kovner den israelischen Literaturpreis und wurde Vorsitzender des israelischen Schriftstellerverbandes. Abba Kovner starb am 25. September 1987 an Kehlkopfkrebs. Er wurde 69 Jahre alt.
Der erste Aufruf Abba Kovners vom 01.01.1942: Lassen wir uns nicht wie die Schafe zur Schlachtbank führen!
Jüdische Jugend!
Glaubt nicht den Verführern. Von den 80.000 Juden im 'Jerusalem von Litauen' blieben nur 20.000. Vor unseren Augen haben sie unsere Eltern, Brüder und Schwestern entrissen.
Wo sind die Hunderte von Menschen, die von den litauischen Häschern zur Arbeit entführt wurden?
Wo sind die nackten Frauen und Kinder, die in der schrecklichen Nacht entführt wurden?
Wo sind die Juden vom Jom-Kippur-Tag?
Und wo sind unsere Brüder aus dem zweiten Ghetto?
Von denen, die vor das Ghettotor geführt wurden, kehrte kein einziger zurück.
Alle Wege der Gestapo führen nach Ponar.
Und Ponar ist der Tod!
Ihr Zweifler, lasst alle Illusionen fallen! Eure Kinder, Männer und Frauen sind nicht mehr am Leben. Ponar ist kein Lager. 15.000 wurden dort durch Erschiessen getötet.
Hitler beabsichtigt, alle Juden Europas zu vernichten. Es ist das Schicksal der Juden Litauens, als erste an der Reihe zu sein.
Lassen wir uns nicht wie die Schafe zur Schlachtbank führen!
Es ist wahr, wir sind schwach und hilflos, aber die einzige Antwort an den Feind lautet:
Widerstand!
Brüder! Lieber als freie Kämpfer fallen, als von der Gnade der Mörder leben.
Widerstand leisten! Widerstand bis zum letzten Atemzug!
Literatur / Medien
Arendt, Hannah: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. 11. Aufl., München 2011, S. 343f.; Bartusevičius u.a. (Hg.): Holocaust in Litauen, Köln 2003 (Foto Partisanen, o.S. Abb. 41); Cohen, Rich: Nachtmarsch. Eine wahre Geschichte von Liebe und Vergeltung, Frankfurt/M. 2000; Dieckmann, Christoph: Deutsche Besatzungspolitik in Litauen 1941-1945, Göttingen 2011, Bd. 2, S.1204 (Aufruf); Enzyklopädie des Holocaust, hsg. von Jäckel / Longerich / Schoeps, 1995, Bd. 2, S. 801f.; Grossman / Ehrenburg: Das Schwarzbuch. Der Mord an den europäischen Juden, hrsg. von Arno Lustiger, Frankfurt/M, Wien 1994 (Aufruf, S. 504); Kostanian-Danzig, Rachel: Spiritual Resistance in the Vilna Ghetto, Vilnius 2002 (Foto Kovner, S. 24); Kovner, Abba: A First Attempt to Tell, in: Bauer, Yehuda / Rotenstreich, Nathan (Hg.): The Holocaust as Historical Experience. Essays and a Discussion, New York 1981; Kovner, Abba: The Mission of the Survivors, in: Gutman, Israel / Rothkirchen, Livia (Hg.): The Catastrophe of European Jewry, Jerusalem 1976, S. 671–83; Lustiger, Arno: Zum Kampf auf Leben und Tod! Vom Widerstand der Juden 1933–1945, Köln 1994, S. 265f.; Porat, Dina: The Fall of a Sparrow. The Life and Times of Abba Kovner, Stanford 2010
https://de.wikipedia.org/wiki/Abba_Kovner
http://www.holocaustresearchproject.org/revolt/kovner.html (mit Fotos von Kovner)
https://www.youtube.com/watch?v=CnKcLLm5980 (Zeugenaussage Eichmann)
http://www.holocaustsurvivors.org/data.show.php?di=record&da=texts&ke=1 (FPO-Manifest)
http://www.hagalil.com/archiv/2001/03/nakam.htm (Jüdische Rache an NS-Tätern)
http://www.moreshet.org/?CategoryID=254 (Holocaust-Forschungszentrum)
https://allpoetry.com/Abba Kovner (Gedichte)
http://www.imdb.com/title/tt0091726/ (Film mit Abba Kovner)
http://www.nytimes.com/1987/09/27/obituaries/abba-kovner-israeli-poet-dies.html
http://www.juden-in-europa.de/baltikum/vilna/widerstand.htm