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Włodawa

Woiwodschaft Lublin / Wojew. Lubelski

„Stadt der drei Kulturen“ Włodawa, Markt (hist. Foto)

Deutsche Soldaten; Quelle: Holocaust Historical Society

Der Ort
Stadt von 13.066 Einwohner*innen (2019) im Südosten Polens am Bug, nahe der Grenze zu Belarus und zur Ukraine. Mit dem Auto von Chełm 50 km (DW 812), von Lublin 98 km (DK 82), von Warschau 224 km (A 2 u.a.).

Die Ereignisse
Vor Beginn des 2. Weltkriegs lebten 9300 Menschen in der Stadt: Katholiken, Orthodoxe und Juden, oder: Polen, Ukrainer, Weißrussen und Juden. Die etwa 6500 Juden waren meist Handwerker und Händler. In Erinnerung an diese Zeit „der drei Kulturen“ wurde in einer Nische der Synagoge eine Figurengruppe der Geistlichen dieser Religionen aufgestellt.

Am 18. September 1939 besetzten deutsche Truppen die Stadt. Kurze Zeit später sperrten sie hunderte jüdische Menschen in die Synagoge, bedrohten und schlugen sie, ließen sie am nächsten Tag frei. Sowjetische Truppen besetzten Włodawa für ein paar Tage, zogen sich nach ein paar Tagen aber hinter den Bug zurück – entsprechend dem deutsch-sowjetischen Vertrag (Hitler-Stalin-Pakt); eine Anzahl – meist jüdischer – Einwohner/innen ging mit in die Sowjetunion. Anfang Oktober 1939 kamen die Deutschen zurück. Włodawa wurde Teil des 'Generalgouvernements'. Neben der Wehrmacht waren u.a. vertreten SiPo-SD, Gestapo, Grenzpolizei, Wasserwirtschaftsamt, Arbeitsamt.

jüdische Zwangsarbeiter beim Bau des Drainage-Kanals; © Yad Vashem Item ID 100032/Arch. 69D07 jüdische Zwangsarbeiter beim Brückenbau; © Yad Vashem Item ID 100055/ArchNr. 69EO1

Zwangsarbeitslager
In Włodawa und Umgebung wurden Zwangsarbeitslager für Juden eingerichtet, das größte im nahen Adampol. Das Wasserwirtschaftsamt ließ Flussregulierungen und Entwässerungsprojekte u.a. von der Fa. Rhode durchführen; sie hatte die offizielle Erlaubnis, bis zu 500 Juden zu beschäftigen; die tatsächliche Zahl der Arbeiter war wesentlich höher als offiziell erlaubt, viele hatten aber keinen 'Arbeitsschein'.'

B. Falkenberg (mit Kreuz); © Yad Vashem

Der örtliche Leiter, Bernhard Falkenberg, warnte die jüdischen Zwangsarbeiter vor Razzien der Gestapo. Sie konnten sich dann in einem mit Heuballen getarnten Keller verstecken. Als das Lager 1943 endgültig aufgelöst werden sollte, verschaffte er den Häftlingen eine Gelegenheit, in die Wälder zu fliehen. Falkenberg wurde denunziert und in das KZ Mauthausen (Österreich) deportiert; er überlebte und wohnte später in Ahrensfelde bei Berlin. 1964 war er Zeuge im Włodawa-Prozess in Hannover. 1969 wurde er von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem als 'Gerechter unter den Völkern“ anerkannt (vgl. Gutman/Bender, a.a.O., S. 109).

Antijüdische Maßnahmen
Das Tragen einer weißen Armbinde mit dem Buchstaben J wurde Pflicht, später der Davidsstern. Jüdische Menschen wurden zur Zwangsarbeit herangezogen, z.B. Entwässerung und Trockenlegung der Sümpfe. Anfang 1940 waren fast alle jüdischen Geschäfte und Unternehmen enteignet oder in Treuhandbesitz.
Ende April 1940 setzten die Deutschen einen Judenrat ein, außerdem einen jüdischen Ordnungsdienst ('Judenpolizei'). Die Deutschen schlossen die Juden bald vom Wirtschaftsleben aus: Der Judenrat musste hohe Zwangsabgaben/Lösegeldsummen aufbringen sowie drei Kilo Gold einsammeln und abliefern, um eine „Umsiedlung“ zu vermeiden – die kam wenige Monate später doch. Das Arbeitsamt wälzte die Verantwortung für die Bereitstellung der geforderten Zahl von Zwangsarbeiter*innen auf den Judenrat ab.

Errichtung des Ghettos
Im Dezember 1939 wurden mehrere hundert Juden aus Kalisz (annnektierter Warthegau) nach Wlodawa „umgesiedelt“, für ihren Unterhalt musste die jüdische Gemeinde zu sorgen. Im Januar 1941 mussten jüdische Familien ihre Häuser verlassen und in das 'jüdische Viertel' südlich der Synagoge umziehen; es war kein geschlossenes Ghetto. Im März 1941 wurden über 1000 jüdische Menschen aus polnischen Orten in den Ort gebracht. Er wurde ein „Durchgangsghetto“: z.B. für 800 jüdische Menschen aus Mielec/Karpathenvorland und 1000 aus Wien, z.B. weil die für sie vorgesehenen Ghettos überfüllt waren. Ende Mai 1942 wurden Juden aus Siedliszcze und anderen Orten nach Włodawa gebracht. Nahezu alle wurden wenig später im Mordlager Sobibor umgebracht.

Aktionen‘, Deportationen, 'Liquidierung' des Ghettos …
Bei der ersten ‚Akcja‘ (‚Aktion‘) am 23. und 24. Mai 1942 deportierten SS-Männer, ukrainische Hilfspolizisten und ein Kompanie deutscher Polizisten 1300 Juden in Güterwagen nach Sobibor; darunter waren auch die Wiener Juden. Kranke, Behinderte und Waisenkinder wurden an Ort und Stelle ermordet. Mit den letzten Deportationen vom 24./25. Oktober und vom 6./7. November wurde das Ghetto aufgelöst. Geleitet wurden die 'Aktionen' und Deportationen von SS-Untersturmführer Richard Nitschke, der dem SD in Chełm unterstand.

Beispiele
- Anfang April 1942 wurden eine Anzahl Juden nach Sobibor verschleppt, sie sollten das Vernichtungslager aufbauen. Sie bauten Zäune und errichteten verschiedene 'seltsame Gebäude'. Was sie nicht wussten: Es waren Gaskammern und sie ahnten nicht, dass sie die ersten sein würden, die darin getötet würden. Nur zwei junge Männer hatten die Gefahr rechtzeitig erkannt und konnten fliehen, bevor sie in die Gaskammer gezerrt wurden.

- „Kinoaktion“: Vom 22.bis 24. Mai wurden etwa 500 alte, schwache, kranke und behinderte Juden im Kino eingesperrt und dann per Bahn in das Vernichtungslager Sobibor gebracht und getötet.

 

Gedenktafel an die Deportationen Wlodawa, Sportplatz

- „Kinderaktion“: Am 24. Juli 1942 befahl Nitschke – über den Judenrat –, dass die Juden alle Kinder zum Sportplatz bringen sollten. Auf ein Zeichen hin entrissen die Deutschen den Juden ihre Kinder und warfen sie auf Lastwagen, es waren etwa 700. Die Eltern wurden weggedrängt. Viele Eltern weigerten sich, ihre Kinder alleine zu lassen und kamen mit ihnen nach Sobibor (darunter Rabbi Mendel Morgenstern).
Die Gedenktafel am Sportplatz erinnert – in polnisch und englisch - an die Deportationen: “Im Gedenken an hunderte jüdischer Kinder aus Włodawa, die im Sommer 1942 vom nahen Sportplatz in das Vernichtungslager Sobibor deportiert wurden. Im Gedenken an 6000 Juden aus Włodawa und Umgebung, die am 24. Oktober 1942 vom nahen Sportplatz in das Vernichtungslager Sobibor deportiert wurden.“ (gestiftet von zwei Schulen in Włodawa und dem Bildungswerk Stanisław Hantz in Kassel).

- „Schwarzer Sabbat von Włodawa“ Am 24. Oktober 1942 befahl Nitschke alle Juden, die sich in Włodawa aufhielten, auf den Sportplatz. Darunter waren etwa 2000 Juden aus Chełm, die nach einem Fußmarsch angekommen warfen, und viele andere, die aus den umliegenden Dörfern und (Arbeits-)Lagern nach Włodawa gebracht worden waren und die z.T. unter freiem Himmel übernachten mussten, weil kein Platz in den Häusern war. Dem Leiter der (Wasser-)Bauarbeiten, Falkenberg, wurde befohlen, die 2000 jüdischen Zwangsarbeiter nicht zur Arbeit, sondern auf den Sportplatz zu schicken; kurz vor dem Abtransport wurden 500 Juden davon ausgenommen (s.o.). Etwa 6.000 Juden wurden in Güterwagen nach Sobibor transportiert und dort ermordet (s. Gedenktafel am Sportplatz).

Im Februar 1943 brachte die SS über 200 jüdische Mädchen und junge Frauen aus Wlodawa und Umgebung in das Mordlager Sobibor; ihre Tötung sollte SS-Reichsführer Heinrich Himmler die „Effizienz der Ermordung mit Gas“ demonstrieren; (vgl. Uhl u.a., S. 145).

... und Wiederöffnung eines ‚Ghettos‘ und ‚Liquidierung‘

Am 1. Dezember kündigte Friedrich-Wilhelm Krüger, der Höhere SS- und Polizeiführer im Generalgouvernement an, das Ghetto neu zu eröffnen, jeder sei dort jetzt sicher. Hintergrund: Er wollte die in den Dörfern und Wäldern versteckten Juden herauslocken. Nach etwa zwei Wochen Suche hatten Deutsche und Trawniki mehrere hundert entdeckt und in leerstehenden Gebäuden eingesperrt. Sie wurden am 13. Mai nach Sobibor gebracht. Einer von ihnen, Ajzik Rotenberg, konnte beim Häftlingsaufstand am 14. Oktober aus dem Vernichtungslager fliehen und überlebte.

Gedenktafel für die Juden Włodawas Mahnmal auf dem jüdischen Friedhof

Wlodawa wurde in der 2. Oktoberhälfte 1944 durch die Rote Armee befreit. Die Stadt hatte nur noch 4300 Einwohner*innen – 1939 waren es 10.000 gewesen. Im Oktober 1945 lebten 145 Jüdinnen und Juden in Włodawa, sie hatten die Shoah in der Sowjetunion oder in Verstecken überlebt. Nach und nach verließen sie die Stadt. Die jüdische Gemeinde hörte auf zu existieren.

Nach 1945 – Verfahren gegen Täter
Das Oberlandesgericht Lublin verurteilte Luitpold Fuhrmann, Gendarmerie-Kommandant in W., u.a. wegen der Verschleppungsaktionen zur Vernichtung der Juden in Sobibor zu fünf Jahren Haft.
Vom 11. Mai bis 20. Oktober 1964 verhandelte das Schwurgericht in Hannover über die „Deportation von mindestens 6700 jüdischen Männern, Frauen und Kindern aus Włodawa, die anschließend im KL Sobibor vergast wurden oder nahe Włodawa erschossen wurden.“ Die Verfahren gegen den Leiter der SD/Gestapo-Außenstelle, SS-Untersturmführer Richard Nitschke und seinen Stellvertreter, SS-Oberscharführer Schönborn wurden eingestellt – wegen Verhandlungsunfähigkeit bzw. Tod. Die anderen Angeklagten wurden wegen Beihilfe zum Mord verurteilt: Anton Müller 5 Jahre, Adolf Schaub 2 Jahre und 3 Monate, Luitpold Fuhrmann 2 Jahre und Josef Schmidt 2 Jahre 6 Monate (vgl. Rüter/de Wildt (Hg.), Bd. XX, S. 521ff.).

Gedenken

Synagoge, Blick ins Innere	Große Synagoge Bethaus bet-ha-midrash, neben Synagoge

Im Gedenken an die ermordeten Juden wurde das Mahnmal auf dem (neuen) Jüdischen Friedhof errichtet – der Friedhof war von den NS verwüstet, die Grabplatten zum Straßenbau verwendet und nach dem Krieg in einen Park umgestaltet worden; neben der wieder aufgebauten Synagoge wurde der Gedenkstein gesetzt. Die ‚Große Synagoge‘ und das Bethaus wurden wiederaufgebaut und im Inneren in Anlehnung an den alten Zustand gestaltet.

Literatur/Medien
Die Yad Vashem Enzyklopädie der Ghettos während des Holocaust, Göttingen/Jerusalem 2014
Berger, Sara: Experten der Vernichtung. Das T4-Reinhardt-Netzwerk in den Lagern Belzec, Sobibor und Treblinka, Hamburg 2013
http://shraga-elam.blogspot.com/2010/09/story-of-communist-schindler.html (B. Falkenberg)
Gutman, Israel/Bender, Sara (Hg.): Lexikon der Gerechten unter den Völkern. Deutsche und Österreicher, 2. Aufl., Jerusalem/Göttingen 2005
Bildungswerk Stanislaw Hantz, Kassel, Infomappe Sobibor (2017)
Rüter/de Wildt (Hg.): Justiz und NS-Verbrechen. Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen ab 1945 Band XX, Amsterdam 1979
Teatr.NN, Lublin (Hg.): Shtetl-Routes. Travels through the Forgotten Continent: https://biblioteka.teatrnn.pl/Content/125144/ShtetlRoutes_EN_www2.pdf (p. 80-89, mit Fotos)
Uhl, Mattias u.a. (Hg.): Die Organisation des Terrors. Der Dienstkalender Heinrich Himmlers 1943-1945, München 2020
https://www.holocausthistoricalsociety.org.uk/contents/ghettoss-z/wlodawa.html

(Uhh - 2017/2020)