Die Aktion T4 war ein NS-Programm zur Ermordung psychisch kranker und behinderter Menschen (1.), davor und danach gab es zudem: Tötung von Kindern (2.), in den besetzten Ländern (3.), KZ-Häftlinge und „Ostarbeiter*innen“ (4.), „Aktion Brandt“ (5.), Aktion T4 und Judenmord (6.).

1. Aktion T4
Mit der Abkürzung T4 wird an jene Behörde in der Berliner Tiergartenstr. 4 erinnert, die seit Oktober 1939 die Ermordung von Patienten in „Heil- und Pflegeanstalten“ plante und steuerte. Nach jahrelangen internen NS-Debatten hatte Hitler im Oktober 1939 ein formloses Papier unterzeichnet, mit dem er die Tötung von Schwerkranken durch Ärzte freigab (sog. Euthanasie“). Zwischen Januar 1940 und August 1941 fielen etwa 70.000 psychisch Kranke und körperlich Behinderte im Deutschen Reich einschl. Österreich den Massenmorden, die „Euthanasie“ genannt wurden, zum Opfer.
Die Kliniken und Anstalten hatten der T4-Zentrale Patienten zu melden, die „voraussichtlich nicht überlebensfähig“ seien und hohe Behandlungskosten verursachten. Drei Gutachter entschieden anhand der Berichte - ohne die Patient*innen gesehen oder untersucht zu haben - , wer in eine der sechs „Tötungsanstalten“ (Bernburg, Brandenburg a.d.Havel, Grafeneck, Hadamar, Hartheim, Pirna) gebracht und ermordet wurde (ab Januar 1940). Das geschah meist über mehrere Zwischenstationen. Viele Angehörige bekamen auf Nachfragen die Antwort, dass der Patient in eine andere Anstalt verlegt worden sei, ohne deren Namen zu nennen. In der späteren Todesnachricht hieß es, der/die Angehörige sei plötzlich verstorben und die Leiche aus Seuchenschutz-Gründen sofort eingeäschert worden.

Nach zunehmenden Anfragen aus der Bevölkerung, öffentlichen Protesten der Kirchen und mit Blick auf die militärische und politische Lage wurde die Aktion T4 auf Weisung Hitlers am 24. August 1941 „ausgesetzt“....; die Morde gingen aber weiter. Die Organisation T4 war nicht aufgelöst, die „Grauen Busse“ fuhren nach wir vor Todeskandidaten aus Zwischenanstalten zu „Tötungsanstalten“ wie z.B. Hadamar, Kaufbeuren... „Die Aktion wurde im Rahmen der sog. „wilden“ oder „dezentralen“ Euthanasie meist in der Form fortgesetzt, dass die Kranken durch Giftinjektionen (Morphium-Scopolamin), schädliche Medikamente oder durch Verhungernlassen getötet wurden“ (Kogon u.a., S. 57); die Opfer wurden nicht mehr vergast, die T4 Zentrale stellte aber tödliche Substanzen zur Verfügung, koordinierte den Tötungsprozess nicht mehr.
Über 100 T4-Mitarbeiter*innen wurden zur Aktion Reinhardt abkommandiert: In den Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka wurden mit ihrer Hilfe ab Frühjahr 1942 fast zwei Millionen jüdische Männer, Frauen und Kinder sowie Sinti und Roma mit Gas ermordet. Die Aktion T4 war ein wichtiger Zwischenschritt für die „Endlösung der Judenfrage“.

2. Tötung behinderter Kinder
Bereits am 18. Juli 1939 verfügte ein Erlass des Reichsinnenministeriums unter dem Vorwand von Forschung die Meldepflicht für Kinder mit geistigen und körperlichen Behinderungen. Als Organisationszentrale fungierte der „Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden“ gebildet. Drei Gutachter entschieden nach Aktenlage über die Einweisung von Kindern und Säuglingen in eine der 30 „Kinderfachabteilungen“, die erste war im Krankenhaus Brandenburg-Görden. Geschätzt wurden um die 5.000 Kinder ermordet. Weitere etwa 4.200 Minderjährige wurden im Rahmen der Aktion T4 vergast.
Die Gehirne der Ermordeten waren als „Reichsausschussmaterial“ begehrte Forschungsobjekte u.a. von Kaiser-Wilhelm-Instituten (heute Max-Planck-Instituten).

3. Besetzte Gebiete
3.a Polen „Die Euthanasie beginnt in Pommern und Westpreußen“ (Klee I, S. 95)
Schon vor dem Beginn der 'Aktion T4' wurden im besetzten Polen tausende Patienten psychiatrischer Anstalten umgebracht. Beispiele: Ab 22. September 1939 wurden 1.700 Patienten der Anstalt Kocborowo (Konradstein), 50 km südlich von Gdansk/Danzig, in einem Wald erschossen. Im Oktober 1939 wurden Patienten aus den – dann aufgelösten – pommerschen Anstalten Stralsund und Ueckermünde geholt und durch den SS-Sturmbann Eimann im Wald von Piasnica erschossen - die Anstaltsgebäude wurden für die Unterbringung baltendeutscher „Umsiedler“ (Flüchtlinge) benötigt oder als Quartier für die Waffen-SS gebraucht. Das mobile SS-Sonderkommando Lange ermordete Patienten mit Gaswagen im annektierten Warthegau, zB. in Owinska und Poznań/Posen (Fort VII) bis März 1940 etwa 5.000 Patienten; in Chełm (Woiw. Lublin) erschossen SS-Männer die Patienten*innen und Kinder am 12.1.1940 vor dem Eingang des Heimes mit Maschinengewehren; vgl. Aly, S. 92ff.; Klee, S. 95ff., 114f.
Die Morde in pommerschen, ostpreußischen und polnischen Heilanstalten begannen auf Betreiben lokaler Verantwortlicher wie z.B. der Gauleiter. Sie gingen 1941 weiter – polnische Patienten wurden umgebracht, um Platz für deutsche Patienten (z.B. aus Berlin-Wittenau oder Hamburg) zu machen und dann auch diese Patienten zu töten – so in Meseritz-Obrawalde (damals deutsch, heute polnisch: Międzyrzecz-Obrzyce; s. näher Sachstichwort Patientenmorde in Polen).

3 b. Besetztes Frankreich
Nach Schätzungen starben etwa 50.000 Patienten psychiatrischer Einrichtungen starben ab 1941/42 an den Folgen einer dramatisch schlechten Ernährungs- und Versorgungslage. Daran erinnern Denkmäler z.B. in Dijon, Clermont de l'Oise und Vinatier, nahe Lyon (vgl. Brücker, S. 334ff.).
Auf dem Gelände der Psychiatrischen Klinik im elsässischen Stephansfeld-Brumath wird auf einem 1995 eingeweihten Obelisk an 100 Patienten erinnert, die aus der badischen Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch über die elsässischen Anstalten Hoerdt und Stephansfeld im Januar 1944 in die Tötungsanstalt Hadamar (Hessen) deportiert und ermordet wurden (vgl. Janzowski, S. 80ff, 96f.).

3.c. Sowjetunion
Dem Vernichtungskrieg gegen die sowjetische Bevölkerung fielen auch mindestens 17.000 Psychiatriepatienten zum Opfer. Beispiele: SS-Einsatzkommandos ermordeten in der Ukraine im Herbst 1941 tausende Psychiatriepatienten. Sie machten auch psychiatrische Einrichtungen und Pflegeheime zu einem ihrer Ziele. Beispielsweise wurde im November 1941 das Psychiatrische Krankenhaus Kulparków in Lemberg/Lviv von einer SS-Einheit buchstäblich leer gemordet, erschossen wurden dabei 1000 bis 1200 Patienten, darunter 600 Juden.
In Winniza wurden 1.500 Patienten erschossen und vergiftet, um die Anstalt als Sanatorium für die Wehrmacht zu nutzen. Im Psychiatrischen Krankenhaus Mogilew wurde eine provisorische Gaskammer eingerichtet. In Südrussland ermordete die Einsatzgruppe D auch 214 Kinder eines Heims in Jeisk mit einem Gaswagen. Verlässliche Zahlen liegen (noch) nicht vor.

4. „Aktion 14f13“ – Kranke/arbeitsunfähige KZ-Häftlinge und Ost-Arbeiter*innen
Im Frühjahr 1941 beschlossen die »Kanzlei des Führers« und die SS-Führung die Ermordung arbeitsunfähiger KZ-Häftlinge. Die Mordaktion trug die Bezeichnung »Sonderbehandlung 14f13«.
Nach dem Vorbild der Patientenmorde erfolgte die Selektion auf der Grundlage von Meldebögen, einer Vorauswahl durch die Lagerkommandanten und der ärztlichen »Begutachtung« durch angereiste T4-Mitarbeiter.
Opfer der »Aktion 14f13« waren vor allem arbeitsunfähige, aber auch jüdische, politisch unerwünschte sowie als »asozial« geltende Häftlinge. Die Opfer wurden in den Gaskammern der noch bestehenden T4-Tötungsanstalten ermordet. Ab April 1944 wurden vor allem geschwächte Häftlinge aus den KZ Mauthausen und Gusen vergast. Nach Schätzungen wurden allein in der ersten Phase der »Aktion 14f13« 15.000 bis 20.000 Menschen ermordet; darunter fast 2.600 Häftlinge des KZ Dachau.
Dazu kamen arbeitsunfähige Ostarbeiter*innen (aus Polen und der Sowjetunion). z.B. in der Tötungs-Anstalt Hadamar in Mittelhessen wurden in Juli 1944 - angeblich unheilbar - an Tuberkulose erkrankte Ostarbeiter*innen durch Giftinjektionen ermordet: 274 Männer, 173 Frauen und 21 Kinder unter 15 Jahren; 375 sowjetische und 63 polnische Menschen.

5. „Aktion Brandt“ 
Mit der „Aktion Brandt“ wurden ab 1943 Heil- und Pflegeanstalten für den infolge des zunehmenden Luftkrieges steigenden Bedarf von Ausweichkrankenhäusern in Beschlag genommen. Die Patienten wurden in besonderen Anstalten konzentriert, die in der Mitte des Reichs oder im Osten lagen. Durch gezielte Tötungen mit überdosierten Medikamenten oder Verhungernlassen m „offiziellen“ Ende der „Euthanasie“ im August 1941 wurde auch als „wilde Euthanasie“ bezeichnet.
Sie bedeutete die Ermordung von etwa 30.000 Menschen. (Karl Brandt war Begleitarzt Hitlers, ab Mitte 1942 Bevollmächtigter für das Sanitäts- und Gesundheitswesen sowie ab 5. September 1943 Leiter des gesamten medizinischen Vorrats- und Versorgungswesen im Reich; Näheres bei (Aly 2).

6. Aktion T4 und Judenmord - Einsatz von Tätern bei der „Aktion Reinhardt“
Nach dem angeblichen Stopp der Aktion T4 und dem Grundsatzbeschluss zur Ermordung der Juden des 'Generalgouvernements' wurden nach und nach über 100 T4-Mitarbeiter zu den Vernichtungslagern der 'Aktion Reinhardt' abgeordnet. Bis Herbst 1943 wurden etwa 1,8 Millionen jüdische Menschen sowie etwa 50.000 Sinti und Roma in Gaskammern ermordet. T4 war mehr als Probelauf, Einübung von Selektions- und Mordtechniken, sie kann als ein erster Bestandteil der Shoah begriffen werden; vgl. Friedlander: in Rotzoll, S.347ff.
Danach wurden führende T4-Tötungsexperten wie Christian Wirth und Dietrich Allers ab September 1943 in Friaul-Julisch Venetien und Triest (Italien) zur Juden- und Partisanenbekämpfung eingesetzt (näheres s. dort).

Literatur/Medien
Aly, Götz: Die Belasteten. 'Euthanasie' 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte, Bonn 2013 (bpb)
Benz, Wolfgang/Graml, Hermann/Weiß, Hermann (Hg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München 2007, Stichworte Aktion T4, S. 395, Aktion 14f13, S. 396
Aly (2) :Die 'Aktion Brandt'. Katastrophenmedizin und Anstaltsmord, in: Götz Aly/Katja Ebbinghaus u.a. : Aussonderung und Tod. Die klinische Hinrichtung der Unbrauchbaren, Berlin 1987, S. 56ff.
Berger, Sara: Experten der Vernichtung. Das T4-Reinhardt-Netzwerk in den Lagern Belzec, Sobibor und Treblinka, Hamburger Edition 2014
Brücker, Eva: Vielschichtiges Gedenken: Opfer nationalsozialistischer Verfolgung und des Zweiten Weltkriegs in den Erinnerungskulturen Europa , in: Rotzoll/Hohendorf/Fuchs (Hg.): Die nationalsozialistische „Euthanasie“-Aktion „T4“ und ihre Opfer, Paderborn 2010, S. 334ff.
Friedlander, Henry: Von der „Euthanasie“ zur „Endlösung“; in: Rotzoll/Hohendorf/Fuchs (Hg.): Die nationalsozialistische „Euthanasie“-Aktion „T4“ und ihre Opfer, Paderborn 2010, S. 347ff
Gutman, Israel u.a. (Hg.): Enzyklopädie des Holocaust, Berlin 1993, „Euthanasie“, S. 422ff.
Janzowski, Frank: Die 1942 bis 1944 aus der Anstalt Wiesloch ins Elsass verlegten Patienten: in Rotzoll, Maike u.a. (Hg.): Der regional vernetzte Krankenmord, Köln 2018, S. 80 ff., 96f.
Klee, Ernst (I): „Euthanasie“im NS-Staat. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, Frankfurt/M. 1985; darin: T4-Tötungstechnologie zur Judenvernichtung, S. 367ff.
Klee, Ernst (II): Dokumente zur „Euthanasie“, Frankfurt/M. 1985
Kogon, Eugen/Langbein, Hermann/Rückerl, Adalbert u.a. (Hg.): Nationalsozialistische Massentötungen durch Giftgas. Eine Dokumentation, 2. Aufl., Frankfurt/M. 1985, S. 27ff., 62ff.,
110-193
Loose, Ingo: Aktion T4. Die »Euthanasie«-Verbrechen im Nationalsozialismus 1933 bis 1945 =https://www.gedenkort-t4.eu/de/wissen/aktion-t4
http://gedenkort-t4.eu
https://www.t4-denkmal.de/Haeftlings-Euthanasie
https://de.wikipedia.org/wiki/Aktion_T4
https://de.wikipedia.org/wiki/Aktion_Brandt
https://www.wikiwand.com/de/Kinderfachabteilung