Die „Vichy-Regierung“ hatte eine Sonderstellung unter den von Nazideutschland besetzten Ländern: Die im zentralfranzösischen Vichy ansässige „Regierung“ war formell unabhängig und herrschte über den unbesetzten Süden des französischen Staatsgebietes einschließlich der Kolonien; sie hatte einen gewissen Handlungsspielraum, war aber in den wichtigsten Fragen nur handlungsfähig mit Zustimmung der Besatzungsmacht. Der Chef des „Französischen Staates“, Pétain, setzte auf die Kollaboration mit den Deutschen, um, wie er sagte, die Folgen der Niederlage abzumildern und die Position Frankreichs in der neuen europäischen Ordnung zu verbessern. Im Inneren ein autoritärer Staat, der sich scharf von der demokratischen „Republik“ abgrenzte, Juden, Freimaurer, Kommunisten und Sozialisten ausgrenzte und verfolgte und Ausländer diskriminierte. Folge der Kollaboration war, dass Vichy die deutschen Verbrechen u.a. bei der Repression des Widerstands, der Judenverfolgung und der Zwangsarbeit (STO) durch eigenes Vorgehen und Gesetze unterstützte und legitimierte. Hatte anfangs die Mehrheit der Bevölkerung dem greisen „Helden von Verdun“ vertraut, so wandten sich wegen dieser Maßnahmen viele von ihm ab und der Résistance zu. Nach der Besetzung der Südzone 1942 war der Handlungsspielraum Vichys eher symbolisch; Ende 1944 wurden führende Vertreter nach Sigmaringen in Süddeutschland gebracht und später in Frankreich vor Gericht gestellt.

1. Autoritärer Staat und „Nationale Revolution“
Die Bedingungen des Waffenstillstands, insbesondere die Bewältigung der finanziellen und wirtschaftlichen Zwänge, steckten zunächst den Handlungsrahmen ab – gegenüber den Deutschen und nach innen. Zugleich erreichten rechtsnationalistische Kreise, Pétain an die Spitze des Staates zu stellen, mit der Republik zu brechen und ein autoritäres Regime zu etablieren. Die Politik gegenüber dem „Dritten Reich“ war von dem Wunsch und der Notwendigkeit der Zusammenarbeit geprägt, wobei die Staats-Kollaboration Vichy zunehmend tiefer in die NS-Verbrechen bei der Bekämpfung des Widerstands, der Arbeitskraftrekrutierung und der Judenverfolgung hineinzog.
Am 10. Juli 1940 übertrug die große Mehrheit der Abgeordneten (570 von 671 anwesenden, 80 Neinstimmen, 20 Enthaltungen) Pétain umfassende Vollmachten. Er nutzte sie, um alle legislative, exekutive und judikative Gewalt in seiner Person zu vereinen und Wahlen abzuschaffen. Die „Nationale Revolution“ war konservativ, korporatistisch, bäuerlich und religiös, knüpfte aber auch an faschistische Vorbilder in Italien und Deutschland an und übernahm manche Aktionsformen: Massenorganisationen, Aufmärsche, Gewalt gegen politische Gegner, Verfolgung ganzer Gruppen von Menschen. Unter dem Motto „travail, famille patrie“ („Arbeit, Familie, Vaterland“) wurde versucht, die Struktur der französischen Gesellschaft in dem Sinne umzuformen, dass Individuen zu Einheiten, Gemeinschaften, Ständen etc. gehören. Werte waren: Feindschaft gegen das parlamentarische System, Hass auf die Demokratie, Sozialisten und Kommunisten, Antisemitismus, Freimaurer- und Fremdenfeindlichkeit, Ruf nach dem starken Mann; Pflicht, Opfer, Gehorsam, Dienst.

2. Folgen des Waffenstillstands abmildern, Souveränität wiederherstellen
Die Politik Vichys ist nur im Zusammenhang mit deutschen Strategien und (Besatzungs-)Politik (vgl. Besatzung) sowie den Machtkonstellationen und dem sich ändernden Spielraum zu verstehen. Das Ziel, Frankreich einen guten Platz in der neuen europäischen Ordnung unter deutscher Führung zu sichern, und der Kampf um die Souveränität, waren mächtige Triebfedern. Dafür nahm Vichy in Kauf, auch Deportationen und Zwangsarbeit (STO) durch eigene Gesetze zu legitimieren. Kollaboration schien die logische Folge. Die Besonderheit gegenüber anderen von NS-Deutschland besetzten Ländern: Es waren (formal) Initiativen einer eigenständigen Regierung, dies erleichterte den Besatzern die Verwaltung des Landes. „Es sollte Vichy freilich so eng mit der Nazipolitik verwickeln, dass es hier am Ende die Kontrolle verlor“ (H. Rousso).

3. Einzelne Bereiche

Wirtschaft
Die Politik musste vor allem die Aufgabe bewältigen, die finanziellen Zwänge aufgrund der horrenden Besatzungskosten (täglich ein Wert von 4 Mio. Tageslöhnen), die Ausplünderung der Reichtümer des Landes  und den Mangel an Lebensmitteln und Brennstoffen zu bewältigen (vgl. Besatzung). In der Nordzone kontrollierte die Wehrmacht (Wirtschaftsabteilung des Militärbefehlshabers) alle Branchen. Gesteuert wurde das über eine Stelle, die den einzelnen Branchen Energie, Ressourcen, Rohstoffe und Waren zuteilte. Vichy war bestrebt, den deutschen Zugriff auf Kapital und Betriebe zu begrenzen (so z.B. lange Zeit erfolgreich bezüglich der Bauxit-Vorkommen und Aluminiumhersteller in der Südzone). Doch wandten sich Unternehmen mit der Bitte um Aufträge auch direkt an die Besatzungsbehörden. So waren z.B. 100 % der Luftfahrtindustrie für die Deutschen tätig, Renault verfünffachte seinen Umsatz von 1940–1942.

Arbeit
Vichy musste die Arbeitslosigkeit (Höchststand 1940: 1 Mio.) bekämpfen und das Fehlen von 1 ½ Mio. Kriegsgefangenen ausgleichen. Lücken wurden teilweise durch den Einsatz von internierten Ausländern, insbes. Spaniern, in sog. Arbeitskompanien kompensiert (vgl. GTE). Die Forderungen von Sauckel nach „Lieferung“ von Hunderttausenden Zwangsarbeitern versuchte Vichy zunächst abzuwehren. Getrieben von der Obsession der eigenen Souveränität legitimierte das Regime jedoch die Verschleppung von 600.000 jungen Männern (und am Schluss auch unverheirateter oder kinderloser Frauen) durch eigene Gesetze (Relève und STO). Das trug ganz wesentlich zum Vertrauensverlust Vichys bei der französischen Bevölkerung und zur Verbreiterung des Widerstands bei.
 
Öffentliche Ordnung – Ausgrenzung, Bekämpfung des Widerstands, Judenverfolgung
Die Nazis und Vichy hatten dieselben Feinde. Vichy machte das angebliche Komplott der Personen der Republik, des „Anti-Frankreich“ (Juden, Kommunisten und Sozialisten, Freimaurer) verantwortlich für die „Dekadenz“ der Gesellschaft und die Niederlage. Das Regime baute einen Unterdrückungsapparat zur Repression von politischen Feinden und Verfolgung ganzer Gruppen auf (Aufstockung und Nationalisierung der Polizei, Spezialpolizeien, schließlich Milice, Ausnahmegerichte und Spezialabteilungen; Lager und Internierung).
Die Bekämpfung des Widerstandes und insbesondere der KPF führte Vichy in der Südzone anfangs konsequenter und härter durch als die Deutschen. Die Internierung von politischen Gegnern, Ausländern und Juden aufgrund eines administrativen Aktes (und nicht eines Gerichtsurteils) war bis Mitte 1942 ein hauptsächlich in der Südzone praktiziertes Mittel. Vichy folgte damit einer fremdenfeindlichen Obsession, fast alle Ausländer wurden zu Verdächtigen. Die ersten Ausschließungs- und Diskriminierungsmaßnahmen (Juli und Oktober 1940) gegen Juden beschloss Vichy nicht auf deutschen Druck. Vichy unterschied zwischen französischen Juden, die ihre Bürgerrechte verlieren sollten, und ausländischen Juden, die vertrieben werden sollten. Völkermord plante Vichy nicht, aber es unterstützte die deutschen Maßnahmen, sofern dies den eigenen Zielen entgegenkam (konkret: Razzien und „Überstellung“ von ausländischen Juden und Kindern an die Deutschen). Vichy war mitverantwortlich für die Deportationen.
1942 wurde zu einem Wendepunkt in der polizeilichen Kollaboration. Vichy kooperierte bei der Jagd nach Feinden, anstatt der Repressionspolitik der Besatzer nur zu folgen. Seinen praktischen Ausdruck fand das in dem Polizeiabkommen vom Juli 1942, das – nach der Übergabe der Sicherheitsverantwortung auf deutscher Seite von der Wehrmacht auf die SS/Gestapo – zwischen dem obersten SS- und Polizeiführer Oberg und dem Generalsekretär der Vichy-Polizei, Bousquet, zustande kam: Es akzeptierte einerseits die Eigenständigkeit der französischen Polizei und erwartete andererseits, dass sie deutschen „Wünschen“ folgte. Als die Polizei den Anforderungen der Deutschen nicht mehr genügte, wurde die Milice aufgebaut. Vichy wurde zum fanatischen Helfer der Nazis bei Repression und Verfolgung.

4. Das Ende
Nach dem Einmarsch in der Südzone bestand die angestrebte Souveränität Vichys nur noch auf dem Papier, die Nazis hatten aber ein Interesse an der Wahrung des Scheins. Die Politik radikalisierte sich, am Ende wurden auf deutschen Druck die profaschistischen Politiker Darnand, Henriot und Déat in die Regierung aufgenommen. Mit der sukzessiven Befreiung von Gebieten (Korsika, Oktober 1943; vor allem nach der alliierten Landung in der Normandie) und der zunehmenden Kontrolle von abseits gelegenen Regionen durch die Résistance schwand der Einfluss Vichys zusätzlich. Im September 1944 wurden Pétain, Laval und die Vichy-Regierung in Begleitung des deutschen Botschafters Abetz nach Sigmaringen gebracht, wo sie eine Art Operettenregierung gaben und nach der Gefangennahme durch französische Truppen nach Frankreich zurückgebracht und vor Gericht gestellt wurden (vgl. Épuration).

Literatur/Medien
Baruch, Marc-Olivier: Das Vichy-Regime: Frankreich 1940–1944, Stuttgart 1999.
Burrin, Philippe: La France à l'heure allemande, Paris 1995.
Paxton, Robert O.: Vichy France. Old Guard and New Order, New York 1972; frz: La France de Vichy 1940–1944, Paris 1973.
Rousso, Henri: Vichy. Frankreich unter deutscher Besatzung 1940–1944, München 2009.
Dictionnaire historique de la Résistance, Paris 2006, S. 23ff., 555ff., 789f.
http://de.wikipedia.org/wiki/Vichy-Regime
http://fr.wikipedia.org/wiki/R%C3%A9gime_de_Vichy