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Strasbourg/Straßburg

Straßburger Münster; Foto: David Iliff, Wikimedia Commons, CC-BY-SA 3.0Region Region Grand Est/Elsass (Alsace), Departement Bas-Rhin


Der Ort 
Hauptstadt der Region Grand Est, Zentrum des Elsass, 277300 Einwohner/innen, im Ballungsraum 760000 (2015). Historische Altstadt auf der Ill-Insel mit dem Straßburger Münster (Cathédrale). Wechselvolle französisch-deutsche Geschichte, Straßburg war – nach Annektion – von 1871-1918 Teil des Deutschen Reichs, von 1940-1945 faktisch von NS-Deutschland annektiert, seitdem wieder französisch, heute Sitz europäischer Institutionen (u.a. EU-Parlament).

Bahnhof: TGV und ICE, Züge nach Paris, Lyon, Marseille, Basel, Luxemburg und  Karlsruhe, Stuttgart, Frankfurt/M. Mit dem Auto von Karlsruhe 82 km (A 5 →Basel, bei Ausfahrt 54 auf B 28), von Paris 490 km (A 4 - Maut).

Ereignisse

Tafel Ausweisungen, im BahnhofEvakuierung
Bei Kriegsbeginn 1939 evakuierte die frz. Regierung die Bevölkerung grenznaher Regionen, u.a. 120000 Einwohner/innen Straßburgs, in südfranzösische Departements (u.a. Dordogne, Haute-Vienne). Nach der deutschen Invasion im Mai 1940 flohen tausende Menschen ins Innere Frankreichs (vgl. Exode). Nach dem Waffenstillstand vom Juni 1940 verweigerten die Deutschen missliebigen Personen („Roten“, Juden) die Rückkehr. Im Bahnhof erinnert eine Gedenktafel an die Ausweisungen (durch den Haupteingang zum Gleis A, links an der Mauer).

Ehem. Sitz der Gestapo;  Foto: Claude Truong-Ngoc, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

Faktische Annektierung, Germanisierung 
Die Deutschen annektierten das Elsass – entgegen den Bestimmungen des Waffenstillstands; es wurde das 'CdZ-Gebiet Elsass' und Teil des (NSDAP-) Gaus Baden-Elsaß. Unter dem Gauleiter und „Chef der Zivilverwaltung“ (CdZ) Robert Wagner trieben sie die Germanisierung und Nazifizierung voran. Deutsch wurde alleinige Sprache, französisch wurde verboten, die Straßennamen wurden eingedeutscht, Hitlerjugend, BDM und Reichsarbeitsdienst (RAD) wurden eingeführt. Anders als im „besetzten“ Teil Frankreichs waren Gestapo und deutsche Sondergerichte von Beginn an Teil der Sicherheits- und Repressionsbehörden; der berüchtigte deutsche ‚Volksgerichtshof‘ tagte auch in Straßburg und fällte Todesurteile (s.a. Colmar). Ab Juli 1942 wurde die Wehrpflicht eingeführt, ganze Jahrgänge junger Männer wurden zwangsweise in die deutsche Wehrmacht eingezogen, was auf große Ablehnung stieß (s. unten Widerstand). Verstöße wurden durch Einweisung in das SS-Sicherungslager Schirmeck oder von Militärgerichten geahndet.

Gedenktafel an Opfer/Universität StrasbourgDie französische Université de Strasbourg wurde 1939 nach Clermont-Ferrand (Auvergne) evakuiert und blieb dort bis zur Befreiung. Viele Professoren und Studenten waren in den sich bildenden Résistancenetzen und -bewegungen aktiv. Eine Tafel im Palais Universitaire nennt 119 Namen von Professoren und Studenten, die „zwischen 1939 und 1945 vom Feind getötet, deportiert, erschossen oder ermordet“ wurden. Darunter sind auch Opfer einer deutschen Razzia in der Universität Clermont-Ferrand, bei der am 25. November 1943 etwa 1200 Personen verhaftet und 130 von ihnen in die Konzentrationslager deportiert worden sind (Näheres vgl. Clermont-Ferrand).

Von 1941 bis 1944 zog die (deutsche) „Reichsuniversität Straßburg“ mit 100 Professoren in die Räume. Die „NS-Kampfuniversität“ sollte „die westlichen Nachbarn für die neue europäische Ordnung … unter deutscher Führung gewinnen“ (Werner Best). Viele junge, der NSDAP oder SS angehörende deutsche Lehrkräfte bewarben sich um eine Professur oder Assistentenstelle. 

Gedenktafel an die Opfer von Prof. Hirt; Foto: Claude Truong-Ngoc, Wikimedia CommonsAn der Medizinischen Fakultät der NS-Reichsuniversität lehrten u.a. die Professoren Otto Bickenbach, Eugen Haagen und August Hirt; sie führten tödliche Menschenversuche im KZ Natzweiler-Struthof durch (Näheres s. dort).

Am Institut de l’Anatomie Normale der Universität wurde eine Gedenktafel für die Opfer der von Prof. Hirt angestrebten „jüdisch-bolschewistischen Skelettsammlung“ angebracht: Die Inschrift lautet: „Zum Gedenken an die 86 jüdischen Opfer, ermordet 1943 in Struthof durch August Hirt, Professor an der NS-Reichsuniversität Straßburg. Ihre sterblichen Überreste ruhen auf dem jüdischen Friedhof Cronenbourg. Die französische medizinische Fakultät des annektierten Straßburg wurde nach Clermont-Ferrand verlegt. Erinnern Sie sich an sie, damit die Medizin nie wieder auf Abwege gerät“ (4 Rue Kirschleger, Tram: Linie A/D Ancienne Synagogue). Vgl. auch Denkmal auf dem Israelitischen Friedhof Strasbourg-Cronenbourg (unten).

Judenverfolgung und Deportation 
Nach der Pest im 14. Jahrhundert war Juden fast vier Jahrhunderte nur tagsüber der Aufenthalt in Straßburg erlaubt. Das änderte sich erst mit der frz. Revolution. Ende des 19. Jahrhunderts wurde eine große Synagoge am Quai Kléber gebaut, durch die Zuwanderung von verfolgten mitteleuropäischen Juden wuchs die jüdische Gemeinde weiter.

Den 1939 evakuierten Juden verwehrten die deutschen Besatzungsbehörden im Juli 1940 die Rückkehr. Im Herbst zündeten Hitler-Jugendliche die große Synagoge an, sie wurde später abgerissen. Heute markieren mehrere Erinnerungszeichen die Stelle in der Innenstadt, wo die Alte Synagoge bis zu ihrer Zerstörung durch die Nationalsozialisten 1940 stand. Neben einem Gedenkstein und großformatigen Fotos gibt es seit 2012 eine „Allee der Gerechten unter den Völkern/Allée des Justes“ zu Ehren der Straßburger Judenretter/innen. 

Die 1958 geweihte neue 'Synagogue de la Paix' liegt an der Avenue Hirschler Nr. 1.

Gedenkort Alte Synagoge/Allée des Justes; Foto: Claude Truong-Ngoc, Wikimedia Commons Gedenkstein Alte Synagoge/Allée des Justes; Foto: Claude Truong-Ngoc *) Neue 'Friedens'-Synagoge

Gedenktafel deportierte Lehrer und Schüler des Lycée PontonniersTausende Juden wurden von den Deutschen 1940 in das nicht besetzte Frankreich vertrieben. Dort wurden viele Opfer der 1942 von der Vichy-Regierung organisierten Razzien gegen (ausländische und staatenlose) Juden, in den Lagern interniert und viele in die Vernichtungslager deportiert. So z.B. 36 Schüler/innen und Lehrkräfte des Lycée Pontonniers (heute: Lycée international des Pontonniers (1 Rue des Pontonniers). Über 800 Straßburger Juden wurden in den Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet (siehe unten Gedenken/Cimetière israélite).

Résistance/Widerstand
Die Ablehnung der deutschen Besatzung äußerte sich u.a. durch den Weitergebrauch der französischen Sprache oder Baskenmütze – was in hunderten Fällen mit Einweisung in das „Sicherungs- und Umerziehungslager“ in Schirmeck geahndet wurde (s. dort). 

Gedenktafel La Main Noire/M. Weinum;  Foto: Claude Truong-Ngoc, Wikimedia Commons, CC-BY-SA-3.0Die NS-deutsche Präsenz und Annexion, die „Entfranzösisierung“, die Repression stießen auf Ablehnung. Ab September 1940 bildete sich um den 16 jährigen Schüler Marcel Weinum die 25köpfige Gruppe „La Main Noire“ (Schwarze Hand), die antideutsche Flugblätter verteilte oder Geschäfte anging, die Hitler-Porträts ins Schaufenster stellten. Als ein Attentatsversuch Weinums auf den NS-Gauleiter Robert Wagner scheiterte, wurden alle Mitglieder der Gruppe verhaftet. Zehn wurden von einem Sondergericht verurteilt, Marcel Weinum zum Tode und am 14. April 1942 in Stuttgart enthauptet. Eine Gedenktafel erinnert daran; Text: „Im September 1940 haben 25 Jungen zwischen 14 und 16 Jahren eines der ersten Widerstandsnetze im Elsass gebildet: La Main Noire (Schwarze Hand): Sie wurden von der Gestapo verhaftet, ihr Chef, Marcel Weinum, wurde zum Tode verurteilt und am 14. April 1942 enthauptet. Er war 18 Jahre alt. Seine letzten Worte waren: Wenn ich sterben muss, sterbe ich reinen Herzens“ (Collège Saint Étienne, 5 Rue Saint Étienne). 

Gedenktafel Georges WodliGedenktafel G. Wodli am ehem. Gestapo-SitzDer Eisenbahner und Kommunist Georges Wodli, Organisator der Résistance im Elsass, sammelte vor allem Eisenbahner und Arbeiter um sich. Sie klärten über die deutsche Annexion auf, verteilten Flugblätter, halfen Gefährdeten bei der Flucht über die Grenzen, später planten und führten sie Anschläge auf Bahnmaterial und Sabotagen in Fabriken aus. Es bestand eine Kooperation mit der Groupe Mario im lothringischen Industrierevier. Als Wodli seine in die unbesetzte Zone vertriebene Familie besuchte, wurde er von frz. Polizei verhaftet, im „Sicherungslager“ Schirmeck interniert und oft in der Gestapozentrale in Straßburg verhört, gefoltert und am 1. oder 2. April 1943 ums Leben gebracht (Gedenktafeln: 11 Rue Sellénick bzw. 4 Rue Georges Wodli, neben Bahnhof). 

 

Stele sechs erschossene JugendlicheÜber 100000 junge Elsässer/innen wurden zwangsweise und gegen ihren Willen in die deutsche Wehrmacht eingezogen und vor allem auf osteuropäischen Schlachtfeldern eingesetzt (vgl. Malgré-Nous). Die 1941 von Alphonse Adam gebildete und mit Beistand des kath. Priesters im nahen Schiltigheim gegründete Gruppe „Front de la jeunesse alsacienne“ half gefährdeten Menschen bei der Flucht über die Grenze. Nach der Dekretierung der Wehrpflicht 1942 rief sie zur Verweigerung und später zum Kampf gegen den Nazismus auf; Flugblätter landeten in allen Briefkästen in Straßburg. Nach der von NS-Gauleiter Robert Wagner angeordneten Verhaftungswelle wurden 30 Mitglieder ab 7. Juli 1943 vom „Volksgerichtshof“ unter Roland Freisler in Straßburg verurteilt, A. Adam und fünf andere wurden am 15. Juli erschossen (Stele neben der Église Sainte-Jeanne-d'Arc, nahe Jardin des Deux Rives, auf Plan N° 1; Tram ‚Port du Rhin‘).

Befreiung 
Nach der alliierten Landung in der Provence (15. August 1944) rückten alliierte und freifranzösische Truppen schnell vor. Sie erreichten Strasbourg am 23. November 1943, General Leclerc konnte – wie in Koufra, in der lybischen Wüste versprochen – die Tricolore auf dem Münster hissen lassen. Die endgültige Befreiung gelang erst Anfang Februar 1945 – nach den Kämpfen um die Poche de Colmar ('Brückenkopf Elsass') – im Januar 1945 hatte u.a. das 3. Algerische Schützen-Regiment die Stadt gegen deutsche Angriffe verteidigt (Danktafel an der Rue Boston). Nachdem die US-Truppen und die 1. freifranzösische Armee große Teile Badens erobert hatten, überquerten sie am 16. April 1945 von Kehl kommend den Rhein, um in Straßburg die endgültige Befreiung des Elsass zu besiegeln (Denkmal im Jardin des Deux-Rives, neben der Fußgängerbrücke/passerelle, auf dem Plan N° 7). 

Denkmal 3. Algerisches Schützen-Regiment Denkmal an Rheinüberquerung

Gedenken

Denkmal der ermordeten Straßburger JudenCimetière israélite/jüdischer Friedhof 
Der jüdische Friedhof liegt im Stadtteil Cronenbourg, 3 Route d'Oberhausbergen; Tram A 'Saint-Florent.' 

Das Denkmal der jüdischen Gemeinde Straßburgs für die in der NS-Zeit ermordeten Straßburger Juden besteht aus mehreren im Halbkreis angeordneten Stelen. Auf ihnen sind über 800 Namen von jüdischen Männern, Frauen und Kindern und Männern eingraviert, die nach ihrer Deportation in den deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet worden sind und Tote ohne Begräbnis waren. Am Fuß der mittleren Säule enthält ein Gefäß Asche von Ermordeten.

Gedenkstein auf dem jüd. Friedhof für die 86 Opfer der Menschenversuche

Schon 1945 wurde hier auf dem Friedhof das Denkmal für die 86 Opfer der verbrecherischen Menschenversuche von Professor Hirt im KZ Natzweiler-Struthof errichtet. Es wurde 2005 um die kurz zuvor von Hans-Joachim Lang erforschten Namen der Opfer ergänzt und die sterblichen Überreste symbolisch bestattet. Die Inschrift lautet (übersetzt): „Hier liegen die sterblichen Überreste der 86 jüdischen Männer und Frauen, die aus verschiedenen Konzentrationslagern in Osteuropa in das KZ Struthof gebracht wurden. Sie haben als menschliche Versuchsobjekte gedient und schreckliche Qualen erlitten – im Namen einer Wissenschaft im Dienst des Bösen.“

 

Jardin des Deux Rives/Garten der Zwei Ufer
Im Jardin des Deux Rives/Garten der Zwei Ufer, einer Parkanlage zu beiden Seiten des Rheins zwischen Strasbourg und Kehl, erinnert eine Stele an 29 im November 1944 erschossene Alliance-Mitglieder. Sie wird durch einen „grenzüberschreitenden Versöhnungsweg/parcours transfrontalier de réconciliation“ erschlossen. Zu erreichen mit Tram D 'Port du Rhin' bzw. Kehl Bahnhof (300 m ) bzw. Bus 2 'Jardin des Deux Rives'. 

Im Sommer 1944 wurde das gaullistische Netzwerk Alliance verstärkt von deutschen Stellen verfolgt. Im Herbst entschieden die Deutschen, alle verhafteten Mitglieder zu töten. Auf Befehl des Straßburger Gestapo-Chefs Schlierbach und des Kommandanten des SS-Sonderlagers Schirmeck, Buck, wurden weit über 100 Widerstandskämpfer/innen ohne Gerichtsverfahren „liquidiert“, u.a. im KZ Natzweiler-Struthof, am Straßburger Rheinufer (Stele nahe der Europabrücke; auf dem Plan N° 6) und in badischen Orten, u.a. in Kehl (s. dort).

Jardin des Deux Rives; Foto: strasbourgdeux.rives.eu Plan des Jardin des Deux Rives mit Stelen u.a. Gedenkstele für erschossene Alliance-Mitglieder

Literatur/Medien 
Lang, Hans-Joachim: Die Namen der Nummern. Wie es gelang, die 86 Opfer eines NS-Verbrechens zu identifizieren, Hamburg 2004
N.N.: réconciliation/Versöhnung. Parcours transfrontalier de réconciliation/Grenzüberschreitender Versöhnungsweg Strasbourg – Kehl
https://de.wikipedia.org/wiki/Kategorie:Hochschullehrer_Reichsuniversität_Straßburg)
http://de.wikipedia.org/wiki/Reichsuniversität_Straßburg
http://www.alemannia-judaica.de/cronenbourg_cimetiere.htm (Jüdischer Friedhof Cronenbourg/Strasbourg)
http://www.memorialmuseums.org/staettens/druck/1137  (Gedenktafel für die "Réseau Alliance" an der Europabrücke)
http://www.fondationresistance.org/documents/lettre/LettreResistance085.pdf (Seite V) 
http://maitron-fusilles-40-44.univ-paris1.fr/spip.php?article152098 (Adam Alphonse)
http://maitron-fusilles-40-44.univ-paris1.fr/spip.php?article9569 (Georges Wodli)
http://www.memoresist.org/resistant/la-resistance-et-loccupation-nazie-en-alsace-lorraine/  (La Résistance et l’occupation Nazie en Alsace-Lorraine)
http://de.wikipedia.org/wiki/Stra%C3%9Fburg 
http://fr.wikipedia.org/wiki/Strasbourg#P.C3.A9riode_trouble   

*) Inauguration de l'Allée des Justes à Strasbourg 22 juillet 2012. Un reportage photographique de Claude TRUONG-NGOC (http://judaisme.sdv.fr/histoire/villes/strasbrg/justes/justes.htm)