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Izbica

Woiwodschaft Lublin/Wojew. Lubelski)

Der Ort
Land-Städtchen mit 1933 Einwohner*innen (2014), etwa 55 km südöstlich von Lublin an der DK 17 zwischen Zamość und Kranystaw, 1939 wohnten etwa 6000 Menschen dort, über 80 % waren Juden. Die deutschen Besatzer machten aus dem Dorf ein Ghetto und eine Durchgangsstation zu den Vernichtungslagern Belzec und Sobibor.

Die Ereignisse
Izbica wurde Teil des deutsch besetzten Generalgouvernements.Die deutsche Verwaltung erklärte wegen des hohen jüdischen Bevölkerungsanteils ganz Izbica zu einem Ghetto. Juden mussten Armbinden (weiß mit blauem Davidstern) tragen, durften das Dorf nicht verlassen und mussten, als sich nicht genug „Freiwillige“ meldeten, Zwangsarbeit leisten. Die meisten Juden waren arm, viele lebten von Tauschhandel. Die Wohnungen waren beengt, die Straßen nicht gepflastert, es gab kaum fließendes Wasser und Kanalisation.
Ab 1939/40 verschleppten die Deutschen mehrere tausend Juden aus dem annektierten Warthegau (u.a. aus Dobra, Kolo und Lodz) und aus Lublin nach Izbica. Sie wurden auf die Häuser der ansässigen Familien verteilt. Die Wohnsituation verschärfte sich, teilweise wurden Geschäfte als Wohnungen genutzt.

„Durchgangsghetto“
Im Frühjahr 1942 begannen die Vorbereitungen zur „Aktion Reinhardt“. Deren Ziel war es, die gesamte jüdische Bevölkerung des Generalgouvernements auszulöschen. Im Bezirk Lublin wurden zahlreiche Orte als Durchgangsghettos ausgesucht; die meisten lagen an einer Bahnstrecke zu einem der drei vorgesehenen Vernichtungslager. Hermann Höfle, Stabschef der Aktion Reinhardt, bestimmte Izbica zum Haupt-Durchgangsghetto und damit zum Vorhof der Vernichtungslager Belzec und Sobibor.

Straße in Izbica (1941); Quelle: Melecheitan, wikipedia Izbica 1941, Lubelska-Straße Deportation fränkischer Juden, hier Nürnberg (Quelle: stadtbild-initiative-nürnberg.de)

Im Frühjahr 1942 wurden die Ghettos in den Dörfern des Bezirks Lublin nach und nach aufgelöst: Zehntausende jüdische Menschen wurden in die Vernichtungslager Belzec und Sobibor deportiert und ermordet. Ein Teil der Verbliebenen wurde auf dem jüdischen Friedhof erschossen. Wer jetzt noch lebte, wurde – oft zu Fuß – nach Izbica getrieben. Tausende Juden wurden so nach Izbica verschleppt.
Ab März und Mai 1942 wurden mehrere tausend jüdische Menschen aus West- und Mitteleuropa nach Izbica verschleppt und anschließend in Belzec und Sobibor ermordet. Sie waren mit Zügen von den Bahnhöfen Breslau, Düsseldorf, Frankfurt/M., Koblenz, Nürnberg, Würzburg, Stuttgart; Wien; aus der Slowakei und Tschechien (Theresienstadt), meist mit einem Zwischenstopp in Lublin, hierher transportiert worden (näheres bei Hänschen, a.a.O., S. 264 ff.).

Am 24.3.1942 brachte ein Deportationszug fast 1000 jüdische Menschen aus Franken (u.a. Nürnberg, Fürth, Würzburg, Kitzingen, Ochsenfurt) vom Bahnhof Nürnberg-Märzfeld nach Izbica (Hänschen, a.a.O., S. 293ff.); vgl. Denkmal der fränkischen Juden, unten Abschnitt Gedenken.

Das Ziel der Deutschen, etwa gleich viele Juden nach Izbica zu verschleppen und von dort in die Mordlager zu deportieren, wurde verfehlt. Der Ort war völlig überfüllt und die Lebensbedingungen verschlechterten sich weiter. Zeitweise mussten die neu Ankommenden auf einem Feld neben der Bahnstation kampieren. Oft mussten sich bis zu zehn Familien eine Wohnung teilen. Lebensmittel waren schwer oder nur zu überhöhten Preisen zu beschaffen. Es gab kaum fließendes Wasser oder Kanalisation; die meisten Häuser waren aus Holz; die ungepflasterten Straßen verwandelten sich nach jedem Regen in schlammige Tümpel. Hinzu kamen Spannungen zwischen den einheimischen und ausländischen Juden.

Deportationen in die Vernichtungslager, Ghettoauflösung

Deutsche Offizielle am Bahnhof Izbica (1942); histor. Foto

Im Frühjahr 1942 begannen die Deportationen in die Vernichtungslager; die Menschen wurden jeweils vorher an der „Rampe“ am Rand des Bahnhofs gesammelt. Am 24. März und 10. April 1942 verließen die ersten Transporte mit jeweils etwa 2000 polnischen Juden den Bahnhof Izbica in Richtung Mordlager Belzec; nahezu alle wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft durch Gas ermordet. Vor dem Transport vom Oktober 1942 nach Belzec und Sobibor wurden mindestens 500 Juden bereits vor der Abfahrt in ihren Verstecken oder auf der Wiese vor dem Bahnhof erschossen.
Im Oktober 1942 wurde das Ghetto aufgelöst. Am 18. oder 19. Oktober, dem „schwarzen Tag von Izbica“, musste sich die jüdische Bevölkerung auf dem Marktplatz einfinden. Als der Platz in den Güterzügen nicht ausreichte, erschossen Wachleute bis zu 700 Juden.

Am 2. November wurden Alte und Kranke an Ort und Stelle erschossen, die Jungen am Bahnhof versammelt und nach Belzec deportiert. Die zurückbleibenden über 1000 Juden wurden auf Befehl des örtlichen Gestapochefs, Kurt Engels, zuerst im Kinogebäude eingesperrt. Nach einigen Tagen wurden sie gruppenweise herausgeführt, auf dem jüdischen Friedhof von Einheiten der Trawniki und des Reserve-Polizeibataillons 101 erschossen und in Massengräbern verscharrt.
Es wurde ein zweites Ghetto eingerichtet; bei dessen Auflösung Anfang April 1943 wurden etwa 800 bis 1000 Juden nach Sobibor deportiert und dort ermordet. Danach wurden die noch nutzbaren Häuser z.B. von einheimischen oder zugezogenen Polen und Volksdeutschen bewohnt. Nur 14 der tausende aus Izbica Deportierten haben die Vernichtungslager überlebt.

ehem. Kino (heute Feuerwehrhaus) Bäckerei Thomas Blatt, 1940er Jahre

Stele Jan Karski in Izbica


Rückkehr einzelner Überlebender
Einige der ganz wenigen Überlebenden der Vernichtungslager kehrten nach Izbica zurück. Einer war Thomas Toivi Blatt, der sich nach dem Häftlingsaufstand im Vernichtungslager Sobibor zunächst in den Wäldern und bei polnischen Bauern versteckt hielt. Nach der Befreiung durch die Rote Armee 1944 kehrte er in sein Heimatdorf zurück, fand das Haus der Eltern von anderen bewohnt vor, irrte durch das Dorf, bis eine Bäckersfrau ihn in ihr Haus ließ. Sie überredete ihn, bei ihr eine Bäckerlehre zu machen. „Etwa zwei Wochen später klopfte jemand an die Tür und verlangte Einlass. Frau K. kam .. herunter: „Toivi, sagte sie keuchend, lauf auf den Dachboden.“… Ich versteckte mich innerhalb weniger Sekunden im hintersten Winkel des Dachbodens. Unten ging die Tür auf, ich hörte fremde Stimmen. Dann ging die Tür wieder zu. Einige Zeit später rief mich Frau K. wieder an die Arbeit. Dann rief mich Herr P. zu sich und sagte: „Lauf weg von hier, Toivi, und verlier keine Zeit, sonst ist es zu spät“. In kleinen Städtchen wie Izbica seien … Juden nicht sicher. „Sie suchen dich, sie suchen dich überall. Lauf, lauf nach Lublin, bevor es zu spät ist.“ (vgl. Blatt, S. 294 ff.)

Nach 1945/ Historische und juristische Aufarbeitung

Jan Karski, der "Kurier der polnischen Exilregierung" hatte sich 1942 nach Izbica einschmuggeln lassen. Er wollte herausfinden, was die Deutschen mit den Juden machen. Seine Beobachtungen über die desolaten Zustände im Ghetto, die Morde und die Deportationen in die Vernichtungslager wurden Teil seines Berichts, den er u.a. Churchhill und Roosevelt übermittelte. Der Bericht wurde tw. erst öffentlich durch ein Gespräch mit Claude Lanzmann für dessen Film "Shoah". 2017 wurde auf dem Marktplatz in Izbica eine Stele zu seinen Ehren aufgestellt. 

Den SS-Männern Kurt Engels und Ludwig Klemm, Leiter der Gestapo-Außenstelle in Izbica (ul. Gminna 8), wurden vielfache Morde an Juden vorgeworfen. Kurt Engels hatte nach dem Krieg ein Café in Hamburg. 1956 wurde er erkannt, Ermittlungen begannen, zwei Jahre später wurde er verhaftet. Nachdem u.a. Thomas Blatt ihn eindeutig identifiziert und seine Frau sich von ihm getrennt hatte, beging er in der Sylvesternacht 1958 Selbstmord.
Ludwig Klemm tauchte unter, lebte unter dem falschem Namen Jantz in Thüringen, Düsseldorf und Hessen. Er wurde lange vergeblich von der Justiz gesucht und schließlich im Januar 1979 verhaftet. Im Mai 1979 nahm er sich im Untersuchungsgefängnis von Limburg/Lahn das Leben.

'Ohel' mit von den Nazis geschändeten jüdischen Grabsteinen Gedenkstein der deutschen Botschaft Denkmal der aus Franken deportierten Juden

Gedenken
Es gibt nur wenige Gedenkzeichen in Izbica. Schüler/innen und Lehrer/innen der Maria-Konopnicka-Schule sowie das Bildungswerk Stanislaw Hantz (Kassel) setzen sich seit einigen Jahren dafür ein, an die schreckliche Vergangenheit des Ortes unter deutscher Besatzung zu erinnern.
Der jüdische Friedhof ist von Niederwald überwachsen. Spuren z.B. des Massengrabs von 2000 Opfern des Massakers vom 2. November 1942 sind nicht sichtbar. Einzelne Grabsteine erinnern an in den Vernichtungslagern ermordete Menschen. An einem neu errichteten Gebäude ('Ohel') sind jüdische Grabsteine angebracht, die von den Nazis herausgerissen und zunächst an der Gestapozentrale verbaut worden waren; die endgültige Form des Gedenkens ist noch offen (2019).
Etwas unterhalb erinnert eine Stele der Stiftung zur Bewahrung des jüdischen Erbes und der deutschen Botschaft: „… Bis Ende 1942 wurden alle in Izbica befindlichen Juden von den deutschen Nazis ermordet. 4000 Personen wurden auf dem jüdischen Friedhof erschossen, die anderen kamen in den Vernichtungslagern ums Leben“ und gedenkt „der während des Holocaust ermordeten jüdischen Einwohner von Izbica.
Ein Denkmal, gestiftet von Gemeinden in Franken, aus denen 1942 fast 1000 jüdische Einwohner*Innen deportiert worden waren (s.o.) ehrt „die jüdischen Opfer des Holocaust“ (an der Ecke ul. Lubelska/ul. Fabrycna; dort auch Aufgang zum Friedhof möglich).

Literatur/Medien
Blatt, Thomas Toivi: Nur die Schatten bleiben, Berlin 2000
Browning, Christopher: Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“ in Polen, erweiterte Neuauflage, Hamburg 2020
Hänschen, Steffen: Das Transitghetto Izbica im System des Holocaust, Berlin 2018
Kuwałek, Robert: Die Durchgangsghettos im Distrikt Lublin. In: Bogdan Musial: Aktion Reinhardt. Der Völkermord an den Juden im Generalgouvermement 1941–1944. Osnabrück 2004
ders.: Die letzte Station vor der Vernichtung: Das Durchgangsghetto in Izbica, in: Deutsche, Juden, Polen: Geschichte einer wechselvollen Beziehung im 20. Jahrhundert. Hg: Andrea Löw, Kerstin Robusch, Stefanie Walter, Frankfurt am Main 2004
https://bildungswerk-ks.de/izbica/die-geschichte-des-durchgangslagers-izbica-1
https://bildungswerk-ks.de/izbica/deportationen-von-und-nach
http://www.memorialmuseums.org/staettens/druck/907
https://de.wikipedia.org/wiki/Ghetto_Izbica
https://de.wikipedia.org/wiki/Izbica