EinführungDie nördlichste Region Frankreichs war lange geprägt von Textilindustrie, Steinkohlenabbau und Nordseehäfen; das ehem. Kohlrevier ist zum UNESCO-Welterbe angemeldet. Die Region hat etwas mehr als 4 Mio. Einwohner/innen (2014) in den zwei
Départements Nord (59) und
Pas-de-Calais (62). Sie hatte besonders schwer unter Krieg und
Besatzung zu leiden: Die deutsche Invasion war vereinzelt von Übergriffen und
Massakern begleitet, vgl.
Courrières,
Oignies, Espelbecq). Es waren bis zu 120 000 deutsche Soldaten stationiert. Zum Bau des
„Atlantikwalls“ mit dutzenden von Bunkern und Raketenabschussbasen wurden zweitweise zehntausende
Zwangsarbeiter/innen und Kriegsgefangene verpflichtet und in dürftigen Lagern untergebracht. Kämpfe und Bombardements richteten große Schäden und Zerstörungen an (vgl. z.B.
Boulogne-sur-Mer,
Calais,
Dunkerque/Dünkirchen,
Valenciennes). Die Region wurde - wie schon im 1. Weltkrieg - dem deutschen Oberkommando in Belgien unterstellt (also nicht dem deutschen Militärbefehlshaber in Paris) und als „zone interdite“ (verbotene Zone) von Frankreich abgeschnitten. Das führte zu einem verbreiteten Gefühl, von der
Vichy-Regierung verlassen zu sein, Befürchtungen einer Annexion und feindlicher Stimmung gegen die Besatzer.
Widerstand und RepressionErste Formen von Widerstand waren Unterbringung von britischen Piloten und
Fluchthilfe. Ab 1941 waren Widerstandsnetze und -bewegungen vertreten, vor allem
FTP -Francs-Tireurs et Partisans (Schwerpunkt im Kohle- und Stahlrevier),
Libération Nord, OCM – Organisation Civile et Militaire (Schwerpunkt um Arras, Béthune),
Voix-du-Nord sowie Gruppen wie Sylvestre Farmer (vgl. Lille) und die insbesondere im Kohlerevier vertetene POWN (Résistants polnischer Abstammung).
Die wirtschaftliche Ausbeutung führte zu Knappheit an Nahrungsmitteln, Hungerdemonstrationen (vgl.
Émilienne Mopty) und Streiks wie dem großen und heftigen
Bergarbeiterstreik 1941 in Nordfrankreich (vgl.
Montigny-en-Gohelle) – 450 Menschen wurden verhaftet, 244 mit einem der ersten Transporte in das KZ Sachsenhausen
deportiert. Besonders ab Sommer 1941 wurde ein erbitterter Kampf zwischen den – meist kommunistischen - Aktionsgruppen (vgl.
Charles Debarge,
Michel Brulé) - und Militärverwaltung (
General Niehoff, Oberfeldkommandantur 670 in
Lille) sowie deutscher und französischer Polizei geführt. Über die Hälfte der Sabotagen durch die
Résistance in Frankreich zwischen 1941 und 1942 wurden in der Region ausgeführt. Die Deutschen reagierten brutal: mit Hinrichtungen (meist in Forts wie
Arras,
Bondues,
Lille,
Seclin,
Wambrechies und Gefängnissen wie Cuincy bei
Douai oder
Loos bei Lille,
Geiselerschießungen - noch vor denen von
Châteaubriant im September 1941 - und Deportationen.
Rasistische Verfolgung: Juden und Sinti/RomaViele der ca. 4000
Juden verließen die Region zu Beginn der deutschen Invasion Frankreichs in Richtung Süden. Die im Küstenstreifen („rote Zone“) wohnenden Juden wurde nach Troyes (Champagne) ausgewiesen. 1941 begannnen die Verfolgungsmaßnahmen durch die deutsche Wehrmacht und das Vichy-Judenstatut: Berufverbote, „Arisierung“ von Geschäften, Tragen des gelben Sterns. Die größte Razzia fand am 11. September 1942 in der gesamten Region statt: 528 Männer, Frauen und Kinder wurden vom Bahnhof Lille-Saint Sauveur (oder Fives??) über Malines/Mechelen (Belgien) in das
Vernichtungslager Auschwitz deportiert. 1943/44 gab es weitere Deportationen. Etwa 700 jüdische Menschen aus der Region wurden deportiert, zusätzlich weitere etwa 1000, die in anderen Regionen Frankreichs verhaftet worden waren. Die jüdische Gemeinschaft im Nord - Pas-de-Calais war praktisch ausgelöscht.
Aufgrund eines Befehls von Himmler wurden ab November 1943 die
Sinti und Roma im Nord – Pas-de-Calais („Tsiganes/Nomades“) zunehmend verfolgt und verhaftet. Am 15. Januar 1944 wurden 157 (nach anderen Quellen: 145) Männer, Frauen und Kinder über Malines/Mechelen (Belgien) nach Auschwitz deportiert, nur wenige überlebten.
BefreiungIm Vorfeld und nach der alliierten
Landung in der Normandie nahmen die Aktivitäten der Besatzer und die des Widerstandes zu. Die Deutschen erwarteten hier die alliierte Landung, sie befestigten die Küste durch den
Atlantikwall und errichteten Raketenabschussbasen (vgl.
Éperlecques,
Saint-Omer). Nach der Landung in der Normandie (6. Juni 1944) erklärten sie
Boulogne,
Calais und
Dunkerque/Dünkirchen zu „
Festungen“ und intensivierten die Repression:
Massaker an 86 Menschen nach einer banalen Bahnsabotage in
Ascq am 1./2. April, Leerung der Gefängnisse und letzter Deportationszug am 1. September von Loos in das KZ Sachsenhausen, Erschießung vieler
FFI-Kämpfer während der Befreiungskämpfe. Die Region wurde in der ersten Septemberwoche 1944 befreit, die „Festung“ Dünkirchen erst am 9. Mai 1945.
Bilanz der Repression
Durch Maßnahmen der deutschen Besatzung und frz. Behörden kamen fast 8000 Männer, Frauen und Kinder zu Tode.
GedenkorteDépartement Nord: Anzin,
Ascq,
Bondues,
Cambrai,
Clairfayts,
Denain,
Douai,
Dunkerque (Dünkirchen),
Éperlecques,
Esquelbecq,
Lille,
Loos (Nord),
Seclin,
Tourcoing,
Valenciennes,
Wambrechies,
Wervicq-Sud.
Département Pas-de-Calais:Annezin,
Arras,
Audinghen,
Avion (Pas-de-Calais),
Bapaume,
Béthune,
Billy-Montigny,
Boulogne-sur-Mer,
Bourlon,
Bully-les-Mines,
Calais,
Coulogne,
Courrières-les-Lens,
Dourges,
Hénin-Beaumont,
La Coupole d'Helfaut,
Lens,
Montigny-en-Gohelle,
Oignies,
Saint-Omer,
Vitry-en-Artois.
Literatur/MedienDictionnaire historique de la Résistance, Paris 2006, S. 298ff.
Dejonghe, Étienne/Le Maner, Yves: Le Nord – Pas-de-Calais dans la main allemande 1940-1944, Lille 1999
Duhem, Jacqueline: Crimes et criminels de guerre allemands, de 1940 à nos jours, dans le Nord-Pas-de Calais, Lille 2014
Fossier, Jean-Marie: Nord – Pas-de-Calais. Zone interdite mai 1940 - mai 1945, Paris 1977
Petit futé. Guide des lieux de mémoire, Paris 2005, S. 214ff.; Ausgabe 2012/13, S. 152ff.
Schmid, Carlo: Erinnerungen. Taschenbuch, München 1981, S.175-208 (Zeit bei OFK 670 in Lille)
http://www.persee.fr/doc/rnord_0035-2624_1975_num_57_226_3324 (Widerstand von Polen)
http://www.cheminsdememoire.gouv.fr/fr/fusilles-et-deportes-du-nord-pas-de-calais http://www.cercleshoah.org/spip.php?article528 https://www.ajpn.org/fichier-travaux/1414948403_persecutions_juifs_berck.pdf http://memoiresdepierre.pagesperso-orange.fr/listededeportesjuifstsiganes.html http://www.memoires-tsiganes1939-1946.fr/deportations.html http://www.bddm.org/liv/details.php?id=V.2. http://fr.wikipedia.org/wiki/Nord-Pas-de-CalaisNORD:
„wird weiterbearbeitet“!!