Drehscheibe für Verfolgte und Flüchtlinge
Seit 1933 kamen tausende von Flüchtlingen (Gegner der faschistischen Regime in Deutschland und Italien, Juden) aus Deutschland, Italien, Österreich, Polen, Tschechien sowie Holland, Belgien usw. nach Marseille. Die Hafenstadt war erster Anlaufpunkt, Zuflucht und Durchgangsstation auf dem von vielen erhofften Weg nach Übersee. Die Bedingungen verschlechterten sich insbesondere nach der deutschen Invasion in Frankreich und unter Vichy, das Ausländer und Juden stärker kontrollierte, teilweise internierte. In Marseille wurden sie in mehreren Gebäuden zwangsweise untergebracht, u.a. dem Hotel Bompard, 2 Rue des Flots Bleus.
Hilfs- und Fluchthilfeorganisationen versuchten, ihre prekäre Situation zu verbessern und/oder ihnen zu sicherer Unterkunft, zur Ausreise bzw. Flucht über das Mittelmeer oder die Pyrenäen zu verhelfen (z.B. OSE).
Beispiele:
Lisa Fittko engagierte sich nach ihrer Flucht aus dem Internierungslager Gurs in der Fluchthilfe. Zusammen mit ihrem Mann Hans brachte sie etwa 100 Flüchtlinge, darunter den Philosophen Walter Benjamin, über die Pyrenäen nach Spanien (vgl. Portbou).
Der US-Amerikaner Varian Fry hatte den Auftrag erhalten, bedrohte Emigranten vor der Übergabe an NS-Behörden zu retten. Das von ihm geleitete Rettungsnetzwerk unterstützte etwa 2000 Menschen finanziell und war ihnen bei der Ausreise behilflich, darunter viele deutsche/österreichische Schriftsteller*innen, z.B. Hannah Arendt, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Leonhard Frank, Annette Kolb, Alma Mahler-Werfel, Golo Mann, Heinrich Mann, Walter Mehring, Soma Morgenstern, Alfred Polgar, Friedrich Torberg, Franz Werfel (viele von ihnen hatten ihren Asylort Sanary-sur-Mer verlassen müssen). Eine Gedenktafel ehrt Fry vor dem US-Generalkonsulat, Place Varian Fry/Boulevard Paul Peyrat Marseille 1°, nahe Canebière. Eine Stele befindet sich auch in Berlin, Potsdamer Platz 1.
Der mexikanische Generalkonsul Gilberto Bosques half nach dem Sieg Francos über die spanische Republik tausenden spanischen Republikanern und Interbrigadisten bei der Überfahrt nach Mexiko – Mexiko unter Präsident Lázaro Cardenas hatte als einziges westliches Land die Spanische Republik unterstützt und bedrohten Menschen, Kämpfern und Künstlern Einreisevisa versprochen. Bosques stellte außerdem verfolgten deutschen Antifaschisten und Schriftstellern – z.T. ohne offizielle Genehmigung – Visa aus und ermöglichte ihnen so die Flucht nach Mexiko, u.a. Anna Seghers, Marie Pappenheim, Max Diamant, Hanns Eisler, Alfred Kantorowicz, Egon Erwin Kisch. Ein Platz bei der Présidence der Region PACA in Marseille trägt seinen Namen, 7 Place Jules Guesde, Marseille 2°; am Gebäude, 7 Square Stalingrad, Marseille 1°, ist eine Gedenktafel angebracht.
Widerstand
Widerstandsgruppen wie Combat waren seit 1941 mit ihren illegalen Zeitungen präsent. Henri Frenay rekrutierte ab Dezember 1940 unter Armeeangehörigen für seine Bewegung. Die Sozialistische und die Kommunistische Partei wurden wieder aktiv, ebenso der neu gegründete Front National (Résistance). Spontane Protestaktionen fanden z.B. am 14. Juli 1942 statt, ebenso große Hausfrauendemonstrationen wegen des Nahrungsmangels. Mit der deutschen Besatzung ab November 1942 begannen bewaffnete Aktionen (Sabotage, Attentate). Viele Résistance-Führer und Helfer, darunter Irene Wosikowski, die Aufklärungsarbeit für Travail Allemand unter deutschen Soldaten machte, wurden 1942-1944 von der Gestapo verhaftet; einer ihrer Folterkeller war in der Rue Paradis Nr. 425.
Nach einem Lohnstreik im März 1944 erfasste der sog. „Brotstreik“ („500 Gramm Brot jeden Tag“) im Mai die Arbeiter der größten Industriebranchen und mobilisierte mehrere 10.000 Frauen in Demonstrationen. Die Bewegung wurde nach dem verheerenden US-Bombardement am 27. Mai 1944 (fast 2.000 Tote) abgebrochen. Nach der Landung in der Normandie strömten zahllose Männer in die Maquis – FTP, KPF und Gewerkschaft riefen zum Verbleib in der Stadt auf – auch mit Blick auf den vorzubereitenden Volksaufstand. Nach der Landung in der Provence war die Résistance trotz schwerer Verluste aktiv an der Befreiung beteiligt.