Während der Besatzung Griechenlands zwischen April 1941 und September 1944 (im Bereich der „Kernfestung Kreta“ auch darüber hinaus) haben Angehörige der deutschen Wehrmacht und der SS eine Vielzahl von Kriegs- und Besatzungsverbrechen begangen, denen Abertausende von Frauen, Männern und Kindern zum Opfer fielen.
Gegen Grundnormen der Haager Landkriegsordnung und des sog. Kriegsvölkerrechts verstieß die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg auch in Griechenland nicht nur in ungezählten Einzelfällen, sondern grundsätzlich durch Erteilung, Weitergabe und Befolgung verbrecherischer Befehle. Lediglich Beispiele der meist mit unfassbarer Grausamkeit verübten Kriegverbrechen sind: Distomo, Kalavryta, Giannitsa, Viannos, Kondomari, Alikianos, Anogia, Kephalonia, Chortiatis, Kommeno, Klissoura, Mousiotitsas, Paramythia und Lingiades. 60.000 Jüdinnen und Juden wurden deportiert und in deutschen Vernichtungslagern umgebracht (siehe: Judenverfolgung in Griechenland).
Internationale Gerichtsprozesse
Nach 1945 kam es – abgesehen von dem Nürnberger Prozess vor dem Internationalen Militärgerichtshof (1945/46) – auf der Grundlage des Gesetzes Nr. 10 des Alliierten Kontrollrates (KRG) vom 20. Dezember 1945 zu einer Reihe von Prozessen vor Militärgerichten der Alliierten, in denen Angehörige der Wehrmacht und der SS verurteilt wurden:
Nürnberger US-Militärgerichtshof: Prozess Generäle in Südosteuropa
Im siebten der insgesamt 12 Nachfolgeverfahren der Nürnberger Prozesse (The United States of America vs. Wilhelm List, et al., auch: Fall 7, Geiselmord-Prozess und Prozess Generäle in Südosteuropa) hatten sich vom 8. Juli 1947 bis zum 19. Februar 1948 vor dem amerikanischen Militärtribunal V Generalfeldmarschälle und Generale der Wehrmacht wegen in den besetzten Ländern Jugoslawien, Albanien und Griechenland verübter Kriegsverbrechen zu verantworten. Sieben der insgesamt zwölf Angeklagten mussten sich wegen ihrer Handlungen während der Besatzung Griechenlands verantworten. Von denen wurden vier wegen exzessiver Kriegsverbrechen verurteilt:
1. Wilhelm List: Generalfeldmarschall, Oberbefehlshaber des 12. Armeeoberkommandos (Befehlshaber der deutschen Invasionstruppen) und Wehrmachtsbefehlshaber Südost, Urteil: lebenslang;
2. Hellmuth Felmy: General der Flieger, von Juni 1941 bis September 1942 Befehlshaber Süd-Griechenland, danach Befehlshaber des LXVIII. Armeekorps auf der Peloponnes, Urteil: 15 Jahre Haft;
3. Wilhelm Speidel: General der Flieger, seit September 1942 Befehlshaber Süd-Griechenland, danach ab dem 8. September 1943 Militärbefehlshaber Griechenland und damit oberster Vertreter der deutschen Besatzungsverwaltung, Urteil: 20 Jahre Haft;
4. Hubert Lanz: General der Gebirgstruppen, Befehlshaber des XXII. Gebirgsarmeekorps im Epirus, Urteil: 12 Jahre.
Der aufkommende Kalte Krieg und ein breiter Unterstützerkreis aus den Reihen der bundesdeutschen Politik, Justiz, Öffentlichkeit und Klerus für die verurteilten Kriegsverbrecher begründeten die Amnestie, die der amerikanische Hohe Kommissar John McCloy am 31. Januar 1951 für inhaftierte Verurteilte der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse erließ. Als letzter der hier angeführten Männer wurde Wihelm List im Oktober 1952 aus dem Landsberger Kriegsverbrecher-Gefängnis entlassen.
Verfahren vor griechischen Gerichten
Auf Basis der vom Office National Hellénique des Criminels de Guerre (ONHCG), der Nationalen Hellenischen Behörde für Kriegsverbrechen, durchgeführten Beweismittelsammlung und Dokumentation von Verbrechen wurde in Griechenland bis Ende der 1940er-Jahre gegen 17 ausgelieferte oder vor Ort verhaftete Deutsche Anklage erhoben (Tabellarische Auflistung in Fleischer 2006, S. 534/535), von denen allerdings nur vier deutsche Kriegsverbrecher zu nennenswerten Strafen verurteilt wurden:
1. Alexander Andrae: General, Kommandant der „Festung Kreta“ vom 9. Juni 1941 bis 30. August 1942, wurde zu viermal lebenslänglicher Haftstrafe und zehn Jahren Zusatzstrafe verurteilt;
2. Bruno Bräuer: General, Kommandant der „Festung Kreta“ vom 1. September 1942 bis 30. Juni 1944 wurde zum Tode verurteilt und am 20. Mai 1947 hingerichtet;
3. Friedrich-Wilhelm Müller: General, Kommandeur der auf Kreta stationierten 22. Infanterie-Division vom 1. August 1942 bis zum 15. März 1944, danach Kommandant der „Festung Kreta“ vom 1. Juli 1944 bis 22. September 1944, wurde wie Bräuer zum Tode verurteilt und am 20. Mai 1947 hingerichtet;
4. Fritz Schubert: Oberfeldwebel, Chef der mit der Wehrmacht kollaborierenden Mörderbande „Jagdkommando Schubert“, wurde zum Tode verurteilt und am 22. Oktober hingerichtet.
Als im Jahr 1950 konsularische Beziehungen zwischen Deutschland und Griechenland aufgenommen wurden, war außer Andrae nur noch der erst kurz zuvor von Frankreich (wo sich zu jener Zeit noch über 100 mutmaßliche deutsche Kriegsverbrecher in Haft befanden) ausgelieferte ehemalige SS-Obersturmführer Heinz Zabel inhaftiert, dem die Mitwirkung am Massaker von Distomo zur Last gelegt wurde.
Auf die Freilassung des verurteilten Kriegsverbrechers Andrae drängten u.a. Bundeskanzler Adenauer, Bundespräsident Heuss und Bischof Otto Dibelius. Die Bundesregierung „erhöhte zudem den Druck auf die griechische Regierung, die existenziell darauf angewiesen war, mit ihrem wichtigsten Ausfuhrprodukt Tabak auf dem Markt des ehemaligen Hauptabnehmers Deutschland wieder Fuß zu fassen“ (Nessou, S. 415). Andrae wurde am 15. Dezember 1951 begnadigt.
Danach wurde das deutsche Drängen auf eine Amnestie aller „Kriegsbeschuldigten“ intensiviert. Neben dem nun einzig noch in Griechenland einsitzenden Zabel waren dies all jene Männer, die als Gesuchte auf den Kriegsverbrecherlisten des Office National Hellénique des Criminels de Guerre standen und von denen einige in Bonn hohe Posten bekleideten. Zabel wurde im Zuge der langwierigen Verhandlungen 1953 zwar nach Deutschland überstellt (während zeitgleich der prominenteste lebende griechische Widerstandskämpfer, Manolis Glezos, im Gefängnis saß), eine generelle Regelung aber noch nicht gefunden. Das Angebot Griechenlands, die Fälle abzuschließen, wenn sich die Bundesrepublik im Gegenzug verpflichten würde, deren Strafverfolgung in Deutschland zu betreiben, stand noch im Raum, als der ehemalige Kriegsverwaltungsrat Dr. Max Merten, der maßgeblich an der Entrechtung, Beraubung und Deportation von 45.000 Jüdinnen und Juden aus Thessaloniki beteiligt war, 1957 in Griechenland verhaftet wurde. Im Zusammenhang mit der Lösung des Fall Merten - er wurde am 5. November 1959 nach Deutschland abgeschoben - zog Griechenland einen legislativen Schlussstrich unter die Verfolgung deutscher Kriegsverbrecher und überließ deren Strafverfolgung dem Land der Täter.
Verfahren vor deutschen Gerichten
In nur einem einzigen Fall führten - bereits 1951 - Ermittlungen gegen unmittelbar an den Kriegs- und Besatzungsverbrechen in Griechenland beteiligten Deutsche zur Eröffnung eines Hauptverfahrens: Es endete 1951 mit einem Freispruch vor dem Schwurgericht des Landgerichts Augsburg. Die dem Angeklagten Hauptmann Richard Sand, Kommandeur des 1. Bataillons/ Grenadierregiment Kreta, zur Last gelegte Erschießung von 6 Zivilisten aus Mariana nahe Chania am 13. November 1944 - einen Tag nach ihrer Gefangennahme (sic!) - wertete das Gericht als „völkerrechtliche Notwehr, mindestens jedoch aus dem Gesichtspunkt völkerrechtlichen Notstandes“, wenn „verdächtige Personen, die sich im Vorfeld der deutschen Hauptkampflinie aufhielten und nicht sofort als harmlos zu erkennen waren, ohne Standgerichtsurteil auf Befehl von Offizieren erschossen wurden“ (aus dem Urteil, zit. nach Rüter, S. 666).
Auf Basis der zwischen 1952 und 1956 aus Griechenland nach Deutschland überstellten Verfahren gegen ca. 800 Beschuldigte wurden zwar vorwiegend in den 1960er-Jahren über 200 Ermittlungsverfahren eingeleitet; sie alle wurden aber - zum Teil mit ähnlich haarsträubenden Begründungen - eingestellt.
Verfahren wegen Verbrechen an anderen Kriegschauplätzen
Nürnberger US-Militärgerichtshof, Fall 9, Einsatzgruppenprozess:
Im Einsatzgruppen-Prozess von 1948 wurde Walter Blume, Befehlshaber der Sipo und des SD in Griechenland, für begangene Taten als Anführer des Sonderkommandos 7a (innerhalb der Einsatzgruppe B) in Russland und Weißrussland zwischen Juni und September 1941 - nicht jedoch wegen der Deportation der Juden Athens, des Epirus und der griechischen Inseln - wegen Verbrechen gegen die Menschheit, Kriegsverbrechen und der Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation angeklagt und zum Tode veruteilt, 1951 aber begnadigt und 1955 aus der Haft entlassen.
Dachauer Prozesse:
Im Dachauer Fliegerprozess US vs. Jürgen Stroop et al. stand der erste Höhere SS- und Polizeiführer (HSSPF) Griechenlands, Jürgen Stroop, vom 10. Januar bis zum 21. März 1947 in seiner Funktion als HSSPF „Rhein-Westmark“ - nicht wegen seiner in Griechenland verübten Verbrechen - vor Gericht. Wegen seiner Beteiligung an der Ermordung alliierter Flieger wurde Stroop zum Tode verurteilt, aber an Polen ausgeliefert, dort als Verantwortlicher für die Niederschlagung des Aufstands im Warschauer Ghetto erneut zum Tode verurteilt und 1952 hingerichtet.
In Jugoslawien:
In Griechenland übte Alexander Löhr als Nachfolger von Wilhelm List ab 1. August 1942 als Wehrmachtsbefehlshaber im Südosten (WBSO, ab 1943 umbenannt in Oberbefehlshaber im Südosten, OBSO) durch die ihm unterstellten Territorialbefehlshaber die vollziehende Gewalt aus. In dieser Funktion erließ er eine Vielzahl verbrecherischer Befehle und gab im März 1942 seine Richtlinien zur Bekämpfung der Aufständischen heraus, die die Besatzungstruppen in der Anwendung von Geiselnahmen bestärkte und Keitels „Sühnequoten“ von mindestens 1:50 bei Geiselerschießungen aufgriff.
Der Militärgerichtshof der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien verurteilte ihn in einem Prozess, der vom 5. bis 16. Februar 1947 stattfand, wegen der durch ihn ohne Kriegserklärung befohlenen Bombardierung Belgrads zum Tod. Das Urteil wurde am 26. Februar 1947 vollstreckt.
In der Tschechoslowakei:
Dieter Wisliceny - ab Februar 1943 als Leiter der „Außenstelle der Sipo und des SD in Saloniki IV B 4“ (ab März 1943 „Sonderkommando der Sicherheitspolizei für Judenangelegenheiten Saloniki-Ägäis“) für die Deportation der Jüdinnen und Juden ab Thessaloniki, nach dem Kriegsaustritt Italiens in Athen als Leiter der dortigen „Judenabteilung“ verantwortlich für die Vorbereitung der Deportationen aus Athen und den restlichen Landesteilen - wurde nach den Nürnberger Prozessen an die Tschechoslowakei ausgeliefert, wo er angeklagt, schuldig gesprochen, am 27. Februar zum Tode verurteilt und am 4. Mai 1948 in Bratislava hingerichtet wurde.
Literatur / Medien:
Fleischer, Hagen: Deutsche „Ordnung“ in Griechenland, in: Droulia u. ders. (Hg.): Von Lidice bis Kalavryta, Berlin 1999, S. 151-223; Fleischer, Hagen: „Endlösung“ der Kriegsverbrecherfrage - Die verhinderte Ahndung deutscher Kriegsverbrechen in Griechenland, in: Frei, Norbert: Transnationale Vergangenheitspolitik - der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, Göttingen 2006, S. 474-535; Nessou, Anestis: Griechenland 1941-1944, Deutsche Besatzungspolitik und Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung - eine Beurteilung nach dem Völkerrecht, Göttingen 2009; Rondholz, Eberhard: Rechtsfindung oder Täterschutz? Die deutsche Justiz und die „Bewältigung“ des Besatzungsterrors in Griechenland, in: Droulia, Loukia / Fleischer, Hagen (Hg.): Von Lidice bis Kalavryta - Widerstand und Besatzungsterror; Studien zur Repressalienpraxis im Zweiten Weltkrieg, Berlin 1999, S. 225-291; Rüter, Christiaan F.: Justiz und NS-Verbrechen, Bd.VIII, Amsterdam 1972, S. 661-668